Queen: „You Don’t Fool Me“

Die Schatten der Vergangenheit – werden wir sie jemals los? Diese Frage stellt sich einem jungen Mann im Video „You Don’t Fool Me“ der britischen Band Queen aus dem Jahre 1995. Der Mann betritt eine Disco und begegnet dort zufällig seiner Ex-Freundin. Er spricht sie an, aber mehr als ein kurzer Plausch wird daraus nicht. Kurze Zeit später sieht der Mann, wie seine Ex mit einer anderen Frau vertraut spricht, innig tanzt, sie küsst und mit ihr die Tanzfläche verlässt.

Der Mann ist erschüttert. Er erinnert sich an vergangenes Liebesspiel mit der Ex im Wald und ist gekränkt durch die gegenläufige Gegenwart. Er irrt durch die Disco, sucht seine Ex, doch findet sie nicht. Er verzweifelt, kühlt sein Gesicht mit Wasser, trocknet seine Tränen. Schließlich betritt er einen weiteren Raum, in dem seine Ex müde auf einer Bank liegt, und setzt sich wortlos zu ihr. Das Video endet mit der Ansicht eines Baums jenes Waldes, in dem der Mann einst seine Ex liebte. Die Gestalt des Baums ähnelt verschlungenen Körpern, die nicht voneinander loskommen.

Begleitet wird das Video von einem Text, in dem ein lyrisches Ich schwört, sich von der Schönheit und den Lügen seiner Freundin nicht irre machen zu lassen – um mit seinem Schwur zu scheitern und doch zum Narren gehalten zu werden. Ergänzend warnt die Mutter des lyrischen Ichs vor der Freundin und prognostiziert, diese werde ihn nehmen, brechen und nach ihrer Pfeife tanzen lassen.

Einer Interpretation nach folgt das Video dem Text. Erst wäre der Mann von seiner Ex betrogen worden und träfe sie dann mit neuer Liebe wieder. Trotzdem käme er nicht von ihr los und liebte sie noch immer. Einer anderen Deutung nach folgen Text und das Video nicht aufeinander, sondern sind Ausdruck desselben Themas. Sei es der junge Mann im Video, der an seiner Ex hängt, obwohl sie eine neue Freundin hat; sei es der Mann im Text, der seiner Freundin verfällt, obwohl diese ihn düpiert – beide Male käme eine Person von einer anderen nicht los, obwohl die Umstände dies nahelegen.

Man könnte also schließen, dass einen die Schatten der Vergangenheit nie ganz losließen. Man könnte aber auch schließen, dass die These einer Verschlingung, die die Zeit zwar überdauert, aber letztlich doch immer noch an die Dimension der Zeit gebunden ist, unzureichend wäre. An ihre Stelle träte die Idee einer Zeitlosigkeit, wie Hermann Hesse sie, anknüpfend an Ideen von Hinduismus und Buddhismus, in seiner Erzählung „Siddhartha“ präsentiert. Zwar gäbe es Schatten, aber keine der Vergangenheit oder der Zukunft.

»Vasudevas Gesicht überzog sich mit hellem Lächeln. „Ja, Siddhartha,“ sprach er. „Es ist doch dieses, was du meinst: daß der Fluß überall zugleich ist, am Ursprung und an der Mündung, am Wasserfall, an der Fähre, an der Stromschnelle, im Meer, im Gebirge, überall, zugleich, und daß es für ihn nur Gegenwart gibt, nicht den Schatten Vergangenheit, nicht den Schatten Zukunft?“

„Dies ist es,“ sagte Siddhartha. „Und als ich es gelernt hatte, da sah ich mein Leben an, und es war auch ein Fluß, und es war der Knabe Siddhartha vom Manne Siddhartha und vom Greis Siddhartha nur durch Schatten getrennt, nicht durch Wirkliches. Es waren auch Siddharthas frühere Geburten keine Vergangenheit, und sein Tod und seine Rückkehr zu Brahma keine Zukunft. Nichts war, nichts wird sein; alles ist, alles hat Wesen und Gegenwart.“« (Hermann Hesse: Siddhartha)

Ich bin weder Hinduist noch Buddhist, doch die Idee einer Zeitlosigkeit und einer Gleich“zeit“igkeit von Ursache und Wirkung finde ich interessant. Sie käme einer Last gleich, da wir aus unseren Fängen nicht loskämen, würde aber auch trösten: Was schön war, wär‘ es noch immer und würd‘ es auch bleiben.

Das Lied „You Don’t Fool Me“ wurde 1995 postum mit Aufnahmen vor Freddie Mercurys Tod im Jahre 1991 produziert. Auch das zeigt: Eine Wirkung kann die Zeit überdauern oder sich gar von ihr lösen. In diesem Sinne wünsche ich allen ein schönes 2021!

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