Zur Umschreibung der Bücher von Roald Dahl

Roald Dahls Kinderbücher werden auf Anordnung des Verlags „Puffin“ sprachlich überarbeitet. Bisherige Worte, die von manchen Lesern als verletzend gedeutet werden könnten, sollen durch neue ersetzt werden, die von diesen Lesern als weniger verletzend interpretiert werden sollen, siehe hier.

„Augustus Glupsch“ („Gloop“) aus “Charlie und die Schokoladenfabrik” soll nicht mehr als “fett” (“fat”) bezeichnet werden, sondern als “gewichtig” (“enormous”), “Frau Zwick” (“Mrs Twit”) aus “Die Zwicks stehen Kopf” nicht mehr als “hässlich und biestig” (“ugly and beastly”), sondern nur noch als biestig (“beastly”).

Vorab: Ich denke nicht, dass es eine umfassende Cancel Culture gibt. Wohl aber gibt es hier und da — sorry für die Ungenauigkeit an dieser Stelle — Tendenzen zum Canceln im Kulturbetrieb, die ich problematisch finde.

Das Canceln, genauer: die Umschreibung von Dahls Werken erfolgt meiner Vermutung nach nicht auf Druck woker Politaktivisten, sondern weil der Verlag zur Gewinnmaximierung darauf aus ist, mit der Umschreibung besser den Geschmack eines empfindlicher gewordenen Publikums zu treffen, um den Umsatz von Dahls Büchern zu erhöhen und durch deren künftige Verfilmungen zusätzlichen Umsatz zu generieren. Die Umsatzsteigerung soll höher sein als die durch die Umschreibung veranlassten zusätzlichen Aufwendungen, so dass die Gewinne steigen. Wie stehe ich dazu? Hierzu drei Anmerkungen.

Erstens finde ich Überarbeitungen von Urtexten problematisch, da sie die Werktreue verletzen. Ich vertrete hierzu zwar keine rigide Position. Denn man kann Ergänzungstexte zu Goethes “Faust” schreiben, die seinen Knittelvers in moderne Sprache transformieren, kann auch für theatrale Aufführungen den Urtext umschreiben, kann zudem kritische Kommentare zu ihm verfassen. All das finde ich OK und auch sinnvoll. Aber der Urtext selbst sollte durch solche Übertragungs- und Einordnungsleistungen meines Erachtens nicht verschwinden.

Daher sollte man auch den Urtext von Dahls Werken nicht antasten, sondern ihn kritisch einordnen — in welcher Form auch immer. Hierzu gehören Kommentare zur Wortwahl oder zur Person Dahl, die antisemitische Positionen vertreten hat.

Zweitens stellt sich die Frage, wie wir es mit pejorativen Beschreibungen von Äußerlichkeiten oder Charakterzügen halten. Werden sie euphemistisch umschrieben, verschwinden vermutlich nicht die Gedanken, die hinter der Wortwahl stehen. Wer statt „fett“ „gewichtig“ sagt, meint der dann nicht mehr „fett“? Wer statt „hässlich und biestig“ nur noch „biestig“ sagt, meint der dann nicht mehr „hässlich“, sondern nur noch „biestig“? Ich denke nicht.

Kurzum: Wir brauchen einen Umgang mit der Tatsache, dass Pejorativa einen Teil des menschlichen Denkens und somit auch des Daseins ausmachen und durch sprachliche Neufassungen nur dem Worte nach verschwinden.

Drittens: In meinem Umgang mit anderen Menschen versuche ich zum einen aus Höflichkeit, Formulierungen wie „fett“, „hässlich“, “doof“ usw. zu vermeiden. Zum anderen bemühe ich mich, kritisch meine Gedanken, Begriffe und Sichtweisen zu reflektieren, die hinter Ausdrücken wie „fett“, „hässlich“, “doof“ stehen. Was davon ist kritikables Ressentiment, was schwer veränderbares Gefühl, was berechtigtes Urteil?

Doch Kunst ist etwas anderes als der Umgang mit anderen Menschen. Sie kann gewollt beim Publikum Reaktionen provozieren, und sie kann mit Absicht Ressentiment, Gefühl und Urteile von Personen abbilden und darstellen und somit dem Publikum zur Diskussion stellen.

So viel (oder so wenig?) erst mal an dieser Stelle zu diesem Thema. Ich bin hier noch nicht abgeschlossen.


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