Kritik am sog. „Manifest für Frieden“

Die, die das sog. „Manifest für Frieden“ aufgesetzt und unterschrieben haben, müssen sich m.E. nicht vorwerfen lassen, willentlich eine Querfront zu betreiben. Eine solche Wortwahl erschwert den Diskurs, anstatt ihn zu befördern.

Zudem ist zuzugestehen, dass das sog. „Manifest für Frieden“ benennt, dass die ukrainische Bevölkerung „von Russland brutal überfallen(.) wurde“.

Dennoch finde ich das „Manifest“ nicht gut. Es fängt erstens damit an, dass es die Frage stellt: „Aber was wäre jetzt solidarisch?“, ohne sie zu beantworten. Waffenlieferungen — mit unbestimmtem Artikel — sind aber solidarisch gegenüber der angegriffenen UKR.

Das „Manifest“ geht zweitens nicht darauf ein, dass die UKR auch deswegen noch nicht von RUS überrannt worden ist, weil es schon in der Vergangenheit Waffenlieferungen gab.

Drittens unterschlägt das „Manifest“, dass Verhandlungen für einen Waffenstillstand (oder gar einen Frieden) auch ein verhandlungsbereites RUS unterstellen. Ich nehme dessen Verhandlungsbereitschaft aber wenigstens aktuell nicht wahr.

Viertens benennt das „Manifest“ nicht, dass eine praktische Verhandlungsbereitschaft RUS als Aggressor auch über Anreize aufgedrängt werden müsste. Waffenlieferungen an die UKR sorgen dafür, dass RUS bei Fortsetzung der Aggression etwas zu verlieren hat. Sanktionen gegenüber RUS bewirken, dass RUS bei Beendigung der Aggression etwas zu gewinnen hat.

Fünftens ignoriert das „Manifest“, dass die UKR zwar „gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen“ kann, wohl aber insofern gewinnen könnte, als RUS seine Annexionsziele nicht oder wenigstens nicht in Gänze erreicht.

Sechstens schweigt das „Manifest“ dazu, dass Putin expansionistische Ziele für RUS offen ausspricht, dass also eine Unterstützung der UKR auch der Verhinderung etwaiger weiterer russischer Expansionspläne dient.

Dass all das nicht erwähnt wird, ist für mich das Problem. Freilich gilt auch, dass eine solche Politik der Nichterwähnung es unangenehmen politischen Kräften erleichtert, das „Manifest“ zu unterstützen.

Nach all dem möchte ich nicht verhehlen, dass auch ich meine Ratlosigkeit habe. Die Opferzahlen im Krieg sind grausam, Eskalationen sind bereits eingetreten. Wer wünscht sich also kein Ende des Kriegs und seiner Eskalation? Aber wie soll das geschehen, wenn eine Unterwerfung der UKR ein No Go ist?

Wie weit Waffenlieferungen gehen sollen, darüber herrscht schon heute Unklarheit. Hinzu kommt: Die UKR wird in Verhandlungen um westlichen Beistand im Aggressionsfall bitten, aber eine direkte Kriegsbeteiligung des Westens wäre keine Option. RUS wiederum wird auf Anerkennung eines Sicherheitspuffers drängen, was die Entscheidungsfreiheit souveräner Staaten begrenzen würde. Was tun?

Es gab neben aller russischen Aggression und Annexion vor und auch nach 2014 teils einen ukrainischen Umgang mit der russischen Minderheit im Osten des Landes und eine Toleranz gegenüber undemokratischen ukrainischen Organisationen, die beide zu kritisieren sind. Was tun?

Doch all das ändert nichts daran, dass RUS der Aggressor ist, dass die UKR angegriffen wird und dass eine solidarische Praxis diesen Unterschied im Blick haben muss. Leider hat das „Manifest“ genau dies nicht hinreichend im Blick.

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