Wolf Lotter hat ein Buch geschrieben über Innovation. Es ist lesenswert, pointiert und streitbar. Umso mehr freue ich mich, dass Lotter für die 4. Innovationskonferenz der Stadt Wien am 23.01.2019 zugesagt hat.
Aufgrund der starken Sprache, die Lotter wählt, gibt es zahlreiche wunderbar zitierbare Sätze, beim lesen möchte man oft zustimmend nicken – aber eben nicht durchgängig. Das ist gut so, denn es irritiert und lädt zum Nachdenken ein.
Die Hauptbotschaft von Lotter ist: Vergesst die Hypes, denkt gründlich nach. Oder – wie er schreibt: „Man soll dem Neuen einiges zutrauen, aber blind vertrauen muss man ihm nicht“ (S. 11). Es geht nicht um Neuerung um des Neuen willen – sondern um des Besseren willen. Lotter spricht sich mehrfach und deutlich dagegen aus, Veränderung immer negativ zu besetzen, „das ewige Gerede von Zerstörung und Revolution, dem Kammerton der ewigen Drohung“ (S. 18) kann er wenig abgewinnen und fordert „Zuversicht“ (S. 162) als Voraussetzung für Innovation. Denn: „Das neue soll nicht schocken, sondern überzeugen“ (ebd.). Er warnt daher eindrücklich vor „Zukunftspropheten, die erst ein Schreckensszenario entwickeln, um gleich die vermeintliche Lösung für das angebliche Problem anzubieten“ (S. 43).
Lotter ist nicht der erste, aber er macht es sehr deutlich: Innovation ist eine Frage der Kultur. Das hat er mit der Wiener Innovationsstrategie „Innovatives Wien 2020“ gemeinsam. Er plädiert für ein ruhiges Voranschreiten, das Zulassen eines sowohl-als-auch. Er plädiert für Zuhören, Kontextualisieren und gründliches Nachdenken. Und ja, das muss man heutzutage erwähnen. Er geht ausführlich auf Organisationen und ihre Probleme ein und macht deutlich, dass es eben entsprechende Möglichkeiten für die Menschen geben muss, sich selbstbewusst auch zu Verwirklichen – weil nur dann Innovation entstehen kann. Hier unterschätzt Lotter aber auch die Wandlungsfähigkeit von Organisationen. Und er unterschätzt den Vorteil, den Bürokratien haben können (obwohl er einen wichtigen Punkt benennt: Komplexitätsreduktion. Aber eben auch: gleiches Recht, gleiche Behandlung, ein Kern der Demokratie). Hier schießt er übers Ziel hinaus: „Die Bürokratie ist der Atommüll der modernen Organisation. Man wird ihn nur sehr schwer los, und selbst dann ist das Zeug immer noch lange gefährlich“ (S. 144). Seine Schlussfolgerung wiederum passt: „Schaffe Organisationen, die weniger innovationsfeindlich sind als bisher“ (S. 147).
Wolf Lotter hat sich den stärksten Teil für das letzte Drittel des Buches aufgehoben: Er fordert und begründet ausführlich, warum Kontextwissen so zentral ist (etwa S. 160), warum es eben nicht ausreicht, immer einem Trend hinterherzuhecheln. Und warum Innovation zwingend Kontext braucht. Und Zutrauen und Zuversicht.
Schließlich macht Lotter noch einen kurzen Schwenk zur Fehlerkultur (übrigens das Thema der letzten Innovationskonferenz der Stadt Wien). Und Lotter bringt es auf den Punkt: „Kritik wird in unserer Kultur aber meist persönlich genommen und nicht als das, was es sein sollte: ein Lernschritt […]“ (S. 202).
Warum er dann noch recht kontextlos zum bedingungslosen Grundeinkommen übergeht ist eine der schwächeren Stellen des Buches – und eine andere Debatte.
Also: Lest dieses Buch. Es ist unterhaltsam, aber wichtiger noch: Es ist lehrreich, es regt an und auf und ist damit ideal, um seine eigenen Überlegungen zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Letztlich jedenfalls gilt: „Das ist der Lackmustest der Innovation, der bestanden ist, wenn es gelingt, das Leben von immer mehr Menschen zum Guten zu wenden“ (S. 43). Und nicht nur deshalb gilt: „Innovationen brauchen Geduld und Ausdauer, Kommunikation und Konsens, eine demokratische Grundlage also“ (S. 47).