EWWU und EWS

Die Frage des Euro ist umstritten. Auch mancher Linke liebäugelt mit seiner Abschaffung. Ich sehe es anders und möchte trotz der Probleme im Euroraum, dass er bleibt. Als der Euro damals als Alternative zum vorherigen Europäischen Währungssystem (EWS) eingeführt wurde, waren viele Linke aus guten Gründen dafür.

Drei einst genannte Gründe für den Euro

Erstens sollten Transaktionskosten – marxistisch gesprochen: faux frais –, die aufgrund der Existenz unterschiedlicher Währungen für Umtausch, Absicherung, Devisenvorhaltung usw. zuvor notwendig waren, aber keinen Wert schufen, dadurch entfallen.

Zweitens machten divergierende reale Wechselkurse als Produkt aus mengennotierten nominalen Wechselkursen und Quotienten von inländischem und ausländischem Preisniveau immer wieder aufs Neue sogenannte Realignments nominaler Wechselkurse erforderlich, da auf oder gegen nationale Währungen von EWS-Staaten gewettet wurde. Das wollte man mit einer einheitlichen Währung von Mitgliedsstaaten (MS) im Euroraum verhindern.

Drittens war der Euro anfänglich der Versuch, die deutsche Rolle in der EU einzuhegen.

Wie reale Wechselkurse konstant halten?

Der erste Grund gilt nach wie vor, und ich finde es bedauerlich, dass er von zu vielen ausgeblendet wird. Beim zweiten Grund ist es schwieriger. Denn der Ansatz, Realignments im Zuge einer einheitlichen Währung zu verhindern, kann nur erfolgreich sein, wenn es auch zwischen den verschiedenen MS zu gleichlaufenden Preisniveauveränderungen, also gleichen Inflationsraten, kommt. Das setzt nicht nur, aber vor allem voraus, dass sich die Steigerung der Nominallöhne in den MS einheitlich an der jeweiligen Steigerung der Arbeitsproduktivität (ggf. plus uniformem Umverteilungszuschlag) orientiert.

Wenn jedoch ein Land Nominallöhne unterhalb der Steigerung der Arbeitsproduktivität anhebt, ein anderes Land aber oberhalb, werden im erstgenannten Land die nominalen Lohnstückkosten sinken und im zweitgenannten steigen. Dies führt zu Problemen. Man müsste präziser sogar formulieren, dass die Probleme bereits einsetzen, wenn die Lohnstückkosten in einem Land über und in einem anderen unter dem Durchschnitt steigen.

Denn das Preisniveau hängt in seiner Entwicklung zwar nicht nur, wohl aber erheblich von der Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten ab. Der Tendenz nach wird ein Land A (z. B. Italien) mit überdurchschnittlicher Steigerung der nominalen Lohnstückkosten eine höhere Inflationsrate (p_{A} steigt stärker) und ein Land B (z. B. BRD) mit unterdurchschnittlicher Steigerung der nominalen Lohnstückkosten eine geringere Inflationsrate (p_{B} steigt schwächer) verzeichnen.

Ohne nominale Wechselkursanpassung bei w^{nom} wird der reale Wechselkurs w^{real} steigen, gerechnet als:

w^{real}=w^{nom}\cdot \frac{p_{A}}{p_{B}}.

Im Beispiel wird der reale Wechselkurs der LIRA steigen, also die LIRA real aufwerten, weil bei konstantem nominalem Wechselkurs das Preisniveau Italiens stärker steigt als das Preisniveau der BRD:

w^{real}=w^{nom}\left [\frac{DM}{LIRA} \right ]\cdot \frac{p_{ITA}}{p_{BRD}}\left [\frac{LIRA}{DM} \right ].

Das verschafft der BRD als Land mit unterdurchschnittlicher Steigerung der Nominallöhne Exportvorteile und Importnachteile und Italien als Land mit überdurchschnittlicher Steigerung Exportnachteile und Importvorteile – jedenfalls dann, wenn wir die Fragen der Elastizitäten und der nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit aussparen. Das geht zwar eigentlich gar nicht, aber wir machen das dennoch mal so.

Was für einen Weg zurück zum EWS spricht

Damit Länder mit überdurchschnittlicher Steigerung der Nominallöhne im Export auf dem Weltmarkt mithalten können, sind sie dazu gezwungen, ihre Nominallöhne zur Gleichstellung der Weltmarktpreise weniger stark steigen zu lassen. Dadurch sinken tendenziell die Reallöhne. Befürworter eines Wegs zurück zu einem EWS argumentieren daher wie folgt:

Bei Wechselkursen anstelle einer einheitlichen Währung käme es für Länder mit überdurchschnittlicher Steigerung der nominalen Lohnstückkosten zur nominalen Abwertung, also zur Senkung des nominalen Wechselkurses, so dass sich der reale Wechselkurs wieder auf den Status quo ante einpendelt und die Notwendigkeit zur gebremsten Steigerung der Nominallöhne und damit zur Reallohnsenkung entfällt. Aber ist das wirklich immer so?

Was gegen einen Weg zurück zum EWS spricht

Bei nominaler Abwertung der nationalen Währung ist es zwar anfänglich möglich, eine Absenkung der nominalen Löhne und somit der Reallöhne zur Gleichstellung der Weltmarktpreise zu vermeiden. Allerdings gibt es eine Schwierigkeit:

Die Abwertung verteuert im direkten internationalen Preiszusammenhang die Importe, weswegen es über Einpreisungen von verteuerten Vorleistungen zu Preisniveausteigerungen im abwertenden Land kommen könnte. Wir unterscheiden nun zwei Reaktionsmöglichkeiten.

  • Verzichten die Gewerkschaften auf kompensatorische Nominallohnsteigerungen, sinken trotz konstanter Nominallöhne eben doch die Reallöhne.
  • Erhöhen die Gewerkschaften hingegen kompensatorisch die Nominallöhne, bleiben zwar die Reallöhne konstant, aber dann verpufft der Abwertungseffekt zur Gleichstellung der Weltmarktpreise.

Kurzum:

  • Entweder die nominale Abwertung ist auch eine reale, dann aber korrespondiert den konstanten Nominallöhnen eine Reallohnsenkung;
  • oder aber bei steigenden Preisen und Nominallöhnen bleibt der Reallohn konstant, aber dann korrespondiert der nominalen Abwertung keine reale Abwertung.

Ein verteilungspolitischer Teilausweg aus diesem Dilemma bestünde beim Weg zurück zum EWS für Länder mit überproportionaler Steigerung der nominalen Lohnstückkosten darin, bei nominaler Abwertung die Preisentwicklung der Endprodukte trotz verteuerter Vorleistungen unter deren Preisentwicklung zu halten.

Allerdings wäre es auch bei Verbleib im Euroraum mit einheitlicher Währung möglich, dass in Ländern mit überproportionaler Steigerung der nominalen Lohnstückkosten die Preise geringer steigen als die Löhne. Allerdings ist eine Verteilungspolitik durch Preisbestimmungen in jedem Falle eine Herausforderung.

Es sind auch Politik und Recht, die den Euroraum strukturieren

Jedenfalls bin ich skeptisch gegenüber den Versprechungen eines Wegs zurück zum EWS. Und von den Verteilungsproblemen durch Importverteuerungen durch eine nominale Abwertung habe ich noch gar nicht geredet.

Nun mag man aber dennoch anders als ich für eine Rückkehr zum EWS plädieren. Dann aber wären wie geschildert Realignments erforderlich. Dies setzt voraus, dass dieselben Regierungen, die ihre Lohnpolitiken nicht koordiniert bekommen, sehr wohl die Realignments koordinieren. Ist diese Annahme schlüssig?

Offenbar verlassen wir hier (zurecht) das Feld der reinen Ökonomie und ergänzen es um das Feld der Politik. Weiter oben habe ich als ehemals drittes Motiv die Einhegung Deutschlands benannt. Ist es realistisch anzunehmen, dass Deutschland, Österreich und die Niederlande im Euroraum hart agieren, aber kooperativer im Rahmen eines EWS wären? Ich habe meine Zweifel.

Zur Frage der Fiskalunion

Kommen wir nun zur Frage der Fiskalunion unter Einschluss von Eurobonds. Einige Linke sind eher dagegen, ich partiell und eher dafür. Es ist das alte Henne-Ei-Problem. Eine stärker integrierte EU setzt ein intensiviertes europäisches Bewusstsein voraus, das wiederum auf eine stärker integrierte EU angewiesen ist.

Man kann diese Kette durchbrechen, indem man sagt: Nein zur EU. Ich sage: Ja zu demokratischen Nationalstaaten, aber hier und da unterm Banner der Solidarität auch ein Ja zur Abgabe nationalstaatlicher Kompetenzen an die EU und zu demokratischen Kooperationen zwischen Nationalstaaten. Da die Nationalstaaten nicht autonom in der EU agieren und es auch nicht können und sollten, ist es in solidarischer Perspektive sinnvoll, Vergemeinschaftungen, etwa von Schulden, zu stärken und gleichzeitig Budgets auf europäischer Ebene zu erwägen.

Freilich haben wir es in der EU mit einem schlechten Primärrecht und mit einer deutsch-österreichisch-niederländischen Hegemonie zu tun, und angesichts dessen kann ich Widerstand gegen die Abgabe nationalstaatlicher Kompetenzen an die EU und gegen Scheinkooperationen, die eigentlich Wettbewerbspakte sind, gut verstehen. Doch die Antwort darauf wäre für mich nicht ein Zurück zum Primat der Nationalstaatlichkeit, sondern Geduld.

Wenn es MS wie D, NL oder AUT sind, die für ordoliberale Stabilitätskriterien und zudem ökonomisch potente MS sind, ist es vermutlich falsch, auf die Karte souveräner MS zu setzen. Man müsste versuchen, die EU zu reformieren — so schwer das auch gegen den Widerstand von D, NL und AUT ist. Hierbei könnte man auf die Macht des Faktischen hoffen, um das Primärrecht zu knacken.

Die Geldpolitik der EZB ist schon heute entgegen dem Vertragswerk nicht mehr in erster Linie der Sicherung von Preisstabilität verpflichtet, und die Schuldenquoten vieler MS werden nach Corona den Vorgaben des Fiskalpakts widersprechen. Klar wäre für mich aber auch: Nein zu mehr EU-basiertem Wettbewerb.

Es gibt sogar einige wenige Linke, die argumentieren, dass Südländer im Euroraum bei Eurobonds mehr ausgäben, als es ihnen guttäte. Diese Sündentheorie ist jedoch empirisch zweifelhaft. Vielmehr ist die Relation von Überschuss- zu Defizitländern zu beachten:

Da MS wie D, NL oder AUT beim Haushalts- und beim Unternehmenssektor Nettosparer sind und sogar die Staatsverschuldung auf null senken, müssen die Ersparnisse durch das Ausland nachgefragt werden. Der deutsche Nettokapitalexport ist die Kehrseite der Leistungsbilanzüberschüsse. Die Südländer hingegen verzeichnen notwendigerweise als Defizitländer bei der Leistungsbilanz einen Nettokapitalimport, und es verschuldet sich dort nicht nur der Unternehmenssektor, sondern notwendigerweise eben auch der Staat. Durch die Zinsspreads wurde der Spielraum der Südländer obendrein eingeengt.

Nun möchte ich zugestehen, dass nicht nur die Leistungsbilanz die Kapitalbilanz regiert, sondern dass es auch Eigentümlichkeiten der Staatsquoten durch unterschiedliches nationalstaatliches Ausgabeverhalten gibt, die die Leistungs- und Kapitalbilanz zugleich tangieren. Aber genau das könnte man ja durch eine Ausgleichsunion als Teil einer Fiskalunion regulieren, bei der „ein Sanktionsverfahren einsetzt, sobald ein Staat in seiner Leistungsbilanz bestimmte Schwellenwerte überschreitet. Die Sanktionen sollten für Staaten mit Überschüssen bewusst strenger gefasst sein als für Staaten mit Defiziten. Denn Überschussländer befinden sich in einer stärkeren Position und können deswegen viel einfacher Anpassungsleistungen erbringen als Defizitstaaten.“ (Axel Troost)

Ein paar Wörtchen zur Finanzierung

Staatsverschuldung hat in einer Krise den Charme, Ausgaben schneller zu finanzieren, als es bei Steuern der Fall ist (wenn man Steuererhebung überhaupt als Finanzierung bezeichnen möchte, was strittig ist), und zwar vor allem in der Krise. Dem Einwand darauf, dass es in der Zukunft zu mehr Tilgungen kommen müsste, begegne ich mit dem Argument, dass die Tilgung aus neuen Staatsschulden erfolgen kann. Ist der nominale Zinssatz auf Staatsanleihen kleiner als das nominale Wachstum des BIP, ist es im Haushalt sogar möglich, ein Primärdefizit zu erzielen und dennoch die Staatsschuldenquote konstant zu halten.

Ich gehe aber noch weiter. Am besten wäre es, wenn wenigstens zum Teil die Staatsanleihen durch die EZB direkt (was leider verboten ist) oder indirekt auf dem Sekundärmarkt aufgekauft würden. Es wäre die Monetarisierung der Staatsverschuldung. Staatliche Finanzmittel sind nicht per se knapp, und sie wären es auch nicht auf europäischer Ebene. Steuerpolitik wird dadurch nicht obsolet. Ihre Aufgabe ist aber weniger die Finanzierung, sondern die Gerechtigkeit bei der Verteilung des verfügbaren Einkommens, also bei Möglichkeiten und Lasten.

1 Kommentar

Kommentar verfassen