Zur Absage an Nancy Fraser

Zur Absage an Nancy Fraser zur Albertus-Magnus-Professur möchte ich sechs kurze Punkte erwähnen, da ich a) an der Uni Köln studiert habe, b) Linker bin und c) dem Staate Israel dem Grundsatze nach gewogen gegenüberstehe.

1) Dass Nancy Fraser untersucht hat, inwiefern Bewegungen für mehr Diversität dazu neigen, unkritisch gegenüber Tendenzen sozialer Ungleichheit im Kapitalismus zu sein, fand und finde ich eine interessante Perspektive, auch wenn ich nicht alle Positionen Frasers hierzu teile.

2) Ich finde es richtig, dass Nancy Fraser den Blick darauf wirft, dass an den Rändern des Kapitalismus manche migrantische Arbeitskräfte überausgebeutet werden, also nicht nur weniger Lohn erhalten, als sie Wert schöpfen, sondern auch weniger Lohn, als es dem Wert ihrer Arbeitskraft entspricht. Auch finde ich es gut, dass Fraser untersucht, wie unbezahlte Hausfrauenarbeit zur Reproduktion des Kapitalismus beiträgt.

3) Ich finde es zwar richtig, dass Nancy Fraser die ungleiche Verteilung von Gestaltungsmöglichkeiten im Kapitalismus anspricht, aber sie fasst meines Erachtens den Kapitalismus zu wenig als Struktur unpersönlicher Wirkungszusammenhänge, der alle Personen unterworfen sind, und überhöht somit die Bedeutung personenbezogener Macht im Kapitalismus.

4) Dass Nancy Fraser den Brief „Philosophy for Palestine“ gezeichnet hat, finde ich schlecht. Denn der Brief verharmlost den Terror der Hamas vom 07.10.24 als bloße Attacke. Er unterschlägt die Bedrohung, der Israel ausgesetzt ist. Er bedauert zwar, was auch ich bedauere, nämlich die hohe Zahl ziviler Opfer, beschweigt aber das Dilemma, vor dem Israel steht, wenn es Hamas-Kombattanten verfolgt, die sich in zivilen Einrichtungen verschanzen und Zivilisten als Schutzschilde missbrauchen. Der Brief behauptet gegen die Wahrheit, dass Israel ein Apartheidstaat sei und aktuell in Gaza einen Genozid betreibe. Der Brief fordert leider, israelische Einrichtungen zu boykottieren. Dass Fraser diesen schlechten Brief unterschreibt, könnte meiner Deutung nach auch daran liegen, dass sie Strukturen mit ihrer Einengung von Handlungsspielräumen zu wenig Bedeutung beimisst.

5) Nancy Fraser kritisiert die Besatzung von Teilen der Westbank durch Israel. Dass Fraser das tut, finde ich nachvollziehbar; wie sie es tut, finde ich aber falsch. Fraser ignoriert die Vor- und Nachgeschichte von 1967, in der Israel mehrmals (1948/49, 1967, 1973, 1991, 2006, 2008, 2012, 2014, 2023 sowie vereinzelt zwischendurch) von den arabischen Nachbarn, seit 1979 mit Unterstützung Irans, angegriffen und in der Existenz bedroht wird; dass sich Israel hiergegen verteidigen muss; dass Israel die Westbank als Pufferzone gegen mögliche militärische Angriffe der Nachbarn nutzt; dass es unterschiedliche Zonen in der Westbank gibt. Indes finde auch ich es schlimm, dass Palästinenser in der Westbank durch radikale israelische Siedler vertrieben werden und Teile der israelischen Regierung dies befürworten.

6) Wir sehen: Es gibt zu verschiedenen Themen unterschiedliche Positionen. Meine Schlussfolgerung daraus lautet nicht, dass es richtig ist, Nancy Fraser von der Albertus-Magnus-Professur auszuladen. Sie hätte die Gelegenheit bekommen sollen, ihre Positionen öffentlich zu referieren, die dann freilich auch coram publico hätten kritisiert werden dürfen und für mein Befinden auch sollen. Denn eine Demokratie muss es aushalten und lebt auch davon, kontrovers zu Themen zu diskutieren.


Bildquelle.

Kommentar verfassen