Es ist kompliziert

Freilich ist das, was die taz 1980 (siehe den unteren Facebook-Post) gemacht hat, weder ein Beleg für noch ein Beleg gegen die Richtigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine. Es zeigt aber, dass die gesellschaftliche Linke in der Frage Krieg und Frieden historisch nicht stringent urteilt.

Vermutlich ist es auch gar nicht möglich, hier stringent zu urteilen. Es spielen bei der Beurteilung rein: die konkrete Situation mit Wahrscheinlichkeiten, Chancen und Risiken, die Stellung zu den Kriegsparteien, die Geschichte des Konflikts, die wahrscheinlichen Szenarien des Konflikts, die politischen und ökonomischen Konsequenzen verschiedener Ausgänge des Konflikts und auch moralische Erwägungen. Kurzum: Es ist kompliziert.

Wenn es aber kompliziert ist, könnte es womöglich angeraten sein, zurückhaltender bei der Positionierung zu sein und sich weniger auf starre Prinzipien festzulegen, die nicht immer klar einhaltbar sind.

Und tatsächlich verstehe ich nicht die Vehemenz, mit der Linke sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen. Ich weiß um die Gefahren von Waffenlieferungen und um das Dilemma, in das man sich begibt, bin aber dennoch dafür.

Denn mit Waffenlieferungen stärkt man das nicht nur theoretisch, sondern praktisch ausgeübte Selbstverteidigungsrecht der Ukraine. Dass mit diesen Waffen russische Kombattanten getötet werden können und getötet werden, stimmt. Auch dass die Situation eskalieren kann, stimmt. Aber dem steht entgegen, dass der Tod von Ukrainern — Kombattanten wie auch Zivilisten — und die Unterwerfung der Ukraine gegenüber der russischen Föderation verhindert werden können und verhindert werden. Hier gilt es sich zu entscheiden, anstatt abstrakte Friedensparolen zu kommunizieren. Und da bin ich für Waffenlieferungen.

Diplomatie läuft immer nebenbei und muss es auch. Sie wirkt aber besser, wenn der Aggressor, also Russland, eingedämmt wird. Was man mit Waffenlieferungen erreicht? Dass man die Unterwerfung gegenüber einem Aggressor nicht zulässt, dass man die Selbstbehauptung wahrt, dass man für die bürgerliche Freiheit kämpft. Ich finde das nicht wenig.

Meine These wäre überdies, dass die Eindämmung Russlands die Wahrscheinlichkeit einer Ausweitung der russischen Aggression reduziert und nicht erhöht. Und wenn es doch zu einer Ausweitung käme, müsste man für die Freiheit kämpfen. Nicht schön, aber wahr.

Ich behaupte übrigens nicht, dass Russland faschistisch wie Francos Spanien ist. Es ist autoritär, hat zwar Analogien zu faschistischen Systemen, aber auch etliche Unterschiede hierzu. Dennoch wundert es mich, mit welcher Überzeugung Linke früher im Lied „Spaniens Himmel“ die Zeilen „Wir kämpfen und siegen für dich: (für Spaniens) Freiheit!“ mitgesungen haben und jetzt überzeugt für Unterwerfung im Sinne des abstrakten Pazifismus eintreten.

Dass jemand bei der Abwägung des in der Tat vorhandenen und schlimmen Dilemmas zu einer anderen Schlussfolgerung als ich kommt und gegen Waffenlieferung votiert — OK. Aber dann sollte dieser jemand so offen sein und erklären, dass er im Zweifel Unterwerfung und Unfreiheit zwar nicht erwünscht, wohl aber als Preis für die Beendigung des Kriegs in Kauf nimmt.

PS: Dass es auf ukrainischer Seite zwar kleine, aber eben doch vorhandene rechtsnationalistische Minderheiten wie die Asow-Milizen gibt, weiß ich. Aber sie repräsentieren nicht das Ganze der Ukraine.

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