Napoléon vs Putin

Von 1792 bis 1815 dauerten die Koalitionskriege, die ab 1800 auch als Napoleonische Kriege bezeichnet werden. Was waren die Motive Frankreichs und Napoleons?

Ich vermute, es war erstens die politische Absicht, bürgerliche Demokratie im Sinne von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gegen die Widerstände der feudalen Staaten Preußen/Rheinbund, Österreich und Russland durchzusetzen. Zweitens ging es um das französische Bestreben nach politisch-imperialer Vormachtstellung gegenüber Großbritannien, das feudal-demokratisch war, sowie gegenüber den benannten Feudalstaaten. Drittens ging es auch im Zuge der Ablösung des ökonomischen Feudalismus hin zum Kapitalismus um die Sicherung wirtschaftlicher Sphären.

Diese Ebenen durchdringen sich. Eine dominante Ebene sehe ich nicht. Zudem gibt es merkwürdige Kombinationen. Der imperiale Bonapartismus steht auch für Demokratisierung und Liberalisierung. Das anfangs militärisch zurückhaltende Preußen steht auch für politische Restauration, wenngleich die Verwaltungsmodernisierung Preußens zuzugestehen ist. Leicht ist eine Einordnung also nicht.

Das betrifft auch Zar Alexander I, nach dem der Alexanderplatz benannt ist und mit dem ich weder verwandt noch verschwägert bin. Der Zar galt anfänglich als halbwegs liberaler Modernisierer. Doch im Laufe der Zeit und spätestens nach dem von ihm angeführten Sieg gegen Napoleons Frankreich im Jahre 1812 begab er sich ins Lager der Restauration, gerierte sich mehr und mehr imperial-expansiv und war dem restaurativen Fürsten von Metternich ein treuer Diener und Helfer dabei, liberale nationalstaatliche Bewegungen zu bekämpfen und zu unterdrücken.

In welcher Linie steht Putin? Für mein Befinden macht es den Eindruck, als knüpfte die russische Föderation unter Putin an die zaristisch-expansive Tradition von Alexander I, Nikolaus I, Alexander II und Nikolaus II an und stünde sie auch innenpolitisch in der restaurativen Tradition der Zaren Alexander I, Nikolaus I, Alexander III und Nikolaus II. Hinzu kommt, dass Russland geprägt ist durch einen rückwärtsgewandten, durch Oligarchen gestützten Crony-Kapitalismus, der auf dem rentenorientierten Verkauf fossiler Energieträger basiert.

Eine fortschrittliche Komponente wie bei Napoleons Frankreich vermag ich bei Putins Russland nicht zu erkennen. Putin knüpft auch nicht an Errungenschaften der zwiespältig zu beurteilenden Oktoberrevolution an, sondern distanziert sich von ihr voll und ganz. Ich leugne nicht, dass es Verbündete der ukrainischen Regierung gibt, die ich nicht mag; auch nicht, dass es in der Politik des Westens gegenüber Russland Fehler gab. Aber das ändert nichts daran, dass es nur die russische Föderation unter Putin ist, die den Krieg begonnen hat und expansiv führt, und dass die russische Föderation nicht tut, was sie tut, weil sie durch die NATO dazu gedrängt worden wäre, sondern weil sie selbst expansiv und imperial ausgerichtet ist.

Ich bin gegen antirussische Ressentiments und für die Aufrechterhaltung ziviler Kooperationen zwischen den Menschen in Europa und Russland. Wenn inmitten der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Russland diplomatische Kanäle weiter genutzt würden, fände ich das richtig. Und dass nach einem Ende des Kriegs die Wiederaufnahme wirtschaftlicher und politischer Kooperation mit Russland versucht würde, hoffe ich.

Dennoch finde ich es richtig, dass die Ukraine sich verteidigt und dafür Unterstützung durch den Westen erlangt und dass der Westen militärische Maßnahmen ergreift, die die Verteidigungsfähigkeit gegenüber Russland verbessern. Mir ist bewusst, dass das nicht in einer sich beschleunigenden Rüstungsspirale enden sollte, aber dennoch lege ich Wert auf die Feststellung, dass ich den Vorschlag der Friedensbewegung, auf den Krieg Russlands mit Gewaltverzicht zu reagieren, falsch finde.

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