Der schwarze Kater und Mr Yeats

Heute habe ich mich daran erinnert, dass William Butler Yeats im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert das schöne Gedicht „No Second Troy“ geschrieben hat, das gut 70 Jahre später auch Grundlage für die Lyrics in Sinéad O’Connors tollem Song „Troy“ war.

No Second Troy

Why should I blame her that she filled my days
With misery, or that she would of late
Have taught to ignorant men most violent ways,
Or hurled the little streets upon the great,
Had they but courage equal to desire?
What could have made her peaceful with a mind
That nobleness made simple as a fire,
With beauty like a tightened bow, a kind
That is not natural in an age like this,
Being high and solitary and most stern?
Why, what could she have done, being what she is?
Was there another Troy for her to burn?

Am selben Tag schlendere ich durch das kleine Örtchen Marciana auf Elba und treffe dort in einem überdachten Hauseingang auf einen süßen schwarzen Kater, der sich an ein Gitter schmiegt, so als sei er hierin verliebt.

Spontan und auf die Schnelle fallen mir folgende Zeilen eines kleinen naiven Gedichtleins ein:

Die Welt da draußen, sie ist bitter,
Drum hängt er sich so gern ans Gitter,
Es gab und gibt ihm kräftig Halt,
Es stützt ihn, lässt ihn niemals kalt
Und schützt ihn auch noch vor Gewitter.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Yeats‘ Gedicht, das ich weiter unten übersetze, und meinen eigenen kleinen Zeilen? Ich denke: ja, denn Menschen haben durch ihr Bewusstsein eine Freiheit und Wahl, die Tieren nicht offen steht. Holen wir ein klein bisschen aus. Es war vor einigen Jahren: Ich nahm an einem politischen Seminar im Bergischen Land teil. Während der Mittagspause verließ ich das Seminarhaus und sah ein Pferd auf einer Koppel stehen. Es stand nur da: ohne große Regung. Konnte das von Dauer sein? Nein, sagte ich mir und ging wieder ins Seminarhaus. Einige Stunden später gab es Abendessen. Erneut verließ ich das Haus, und wieder stand das Pferd da ohne große Regung. Mein Gedanke? Welch langweiliges, sinnloses, borniertes, auf bloße Natur reduziertes Leben: stehen, grasen, stehen, grasen. Am nächsten Tag erneut: stehen, grasen, stehen, grasen.

Ich möchte den Gedanken von einst nicht in Gänze verdammen, denn der Befund der Beschränktheit stimmt. Aber wirkte das Pferd unglücklich und traurig? Nein. Es wirkte zufrieden und mit sich im Reinen. Ich möchte das Leben als Mensch nicht mit dem eines Pferdes tauschen, aber ich komme nicht um die Vermutung umhin, dass Unglück und Trauer, die wir Menschen bisweilen erfahren, der Preis dafür sein könnten, dass unser Leben spannend ist, dass wir den Antrieb in uns verspüren, Sinn im Leben zu suchen, und dass wir den Umkreis unserer Erfahrungen auszudehnen trachten. Hinzu kommt: Ob es Sinn ergibt, einen Sinn im Leben zu suchen, ist ungewiss.

So betrachtet, steht es um den kleinen Kater mit seiner Naivität gar nicht so schlecht, oder? Seine Liebe gilt vielleicht dem Gitter, weil es ihm immer treu war, ihn nie enttäuscht und ihm immer Schutz geboten hat. Dies zum Ausdruck zu bringen, war das Anliegen meines naiven Gedichtleins. Im Kontrast dazu steht das berühmte Gedicht „No Second Troy“ von William Butler Yeats, der neben James Joyce und Samuel Beckett einer der berühmtesten Schriftsteller Irlands und Nobelpreisträger des Jahres 1923 ist und mit der Enttäuschung einer Wahl konfrontiert wurde, wie zu zeigen sein wird.

Ich möchte nicht zu viel Interpretation liefern, sondern mich auf das Wenige, was folgt, konzentrieren. Yeats parallelisiert in dem Gedicht die unerfüllte Liebe seines Lebens zu einer Frau mit der Geschichte Irlands und mit sich überhistorisch wiederholenden tragischen Konstellationen. Starten wir mit dem Letzten. Es geht um Troja. Ob es die Stadt gab und ob der trojanische Krieg wirklich stattgefunden hat, wissen wir nicht. Wir wissen aber um Homers mythologische Schilderungen des trojanischen Krieges. Was passiert dort? Die drei griechischen Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite sind zu einer Party eingeladen, nicht aber Eris, die Göttin der Zwietracht. Diese ist gekränkt und möchte Streit unter den drei eingeladenen göttlichen Damen entfachen. Also wirft sie einen goldenen Zankapfel mit der Aufschrift „Für die Schönste“ in deren Runde. Der Plan gelingt: Es kommt zum Streit, denn wie bei Schneewittchen möchte jede die schönste Göttin sein. Zeus, Chef der Gottheiten, möge hierfür die Entscheidung treffen.

Zur Vermeidung familiären Zwists ist Zeus dazu aber nicht bereit und zieht den Schwanz ein. Hera ist nämlich seine Schwester und Frau – über diesen inzestuösen Aspekt blicken wir hier hinweg –, und Athene und Aphrodite sind seine Töchter. Was tun? Zeus schickt die drei Göttinnen zum Trojaner Paris, dem er die Entscheidung aufbürdet. Daraufhin versuchen alle drei Göttinnen, den armen Paris für sich einzunehmen. Am geschicktesten geht Aphrodite vor. Denn weder Hera, die Paris Macht verspricht, noch Athene, die ihm Weisheit offeriert, dringen so zu Paris vor wie Aphrodite, die ihm die schönste Frau auf Erden verspricht: Helena aus dem griechischen Sparta. Paris gibt also der Liebe den Vorzug vor Macht und Weisheit. Dummerweise ist Helena aber mit dem spartanischen König Menelaos verheiratet, der obendrein der Bruder des Heerführers Agamemnon ist.

Was geschieht? Helena verliebt sich in Paris, die beiden türmen nach Troja. Spartaner mögen zwar lakonische, kurze Antworten gemocht haben, aber frei von Eifer- und Rachsucht waren Menelaos und Agamemnon nicht. Sie ziehen gegen Troja in den Krieg, der lange dauert und erst mit einem hölzernen Pferd eine Wendung erfährt, womit wir wieder beim Pferde und der Ausgangsfrage landen: Wie steht es um das Glück?

Yeats war Zeit seines Lebens unglücklich in die irische Nationalistin Maud Gonne verliebt. Diese war eine feurige Verfechterin der irischen Unabhängigkeit und obendrein hübsch, eloquent und eigensinnig. So groß war ihr Eigensinn, dass sie dem geachteten Poeten Yeats gleich mehrfach in dessen Leben einen Korb und anderen Männern den Vorzug gegeben hat. Ihre Begründung: Gerade dadurch, dass sie Yeats abweise, motiviere sie ihn, schöne Gedichte zu verfassen.

Glücklich war Yeats darüber nicht, aber Gonnes Taktik hat gewirkt, denn Yeats schöne Gedichte sind auch Folge seiner privaten Umstände. Noch vor dem irischen Unabhängigkeitskrieg von 1919 bis 1921 schreibt Yeats „No Second Troy“ = „Kein zweites Troja“, in dem er auf der einen Seite seinem Kummer Ausdruck verleiht, endgültig von Gonne eine Abfuhr erteilt bekommen zu haben. Auf der anderen Seite setzt sich Yeats im Gedicht mit der Lage Irlands auseinander. Er hegt Sympathien für eine größere irische Eigenständigkeit, steht aber echter Unabhängigkeit genauso skeptisch gegenüber wie der Anwendung von Gewalt. Überdies zweifelt er an den Fähigkeiten der Iren, die Unabhängigkeit durchsetzen zu können. Das Schicksal will es, dass Gonne im Gegensatz dazu für die irische Unabhängigkeit ist, für den Einsatz von Gewalt plädiert und im Vertrauen, dass der Kampf gelingen kann, hierfür agitiert.

Yeats ist also einerseits amourös fasziniert von Gonnes wildem Charakter, andererseits aber Gegner ihres Kurses, den er als wenig sinnvoll qualifiziert. Weil Gonne nämlich einen Krieg führen wolle, den sie vermutlich nicht gewinnen könne, könne sie nicht glorreich in die Geschichtsbücher als irische Helena eingehen, die England so die Stirn biete, wie es einst die zeitweilig trojanische Helena gegenüber Sparta getan habe. Yeats‘ Schlussfolgerung: Gerade weil Gonne sich wild und aussichtslos für eine Unabhängigkeit abrackere, deren Zeit noch nicht reif sei, so dass kein zweites Troja in Aussicht stehe, sei es nur konsequent, dass sie kompensatorisch ihm als besonnenem Dichter Körbe gebe und Kummer bereite. Man lese daher die ersten und letzten Worte des Gedichts als Klammer:

Why should I blame her that she filled my days / With misery (…)?
Was there another Troy for her to burn?

Ironie der Geschichte: Erstens gelingt es den Iren einige Jahre nach Yeats‘ Gedicht sehr wohl, die Unabhängigkeit zu erringen, so dass Yeats gar irischer Senator wird. Zweitens verliert Troja am Ende seinen Kampf, und Helena kehrt reumütig ins Ehebett mit Menelaos zurück. Doch welch Auf und Ab, welch Freud und Leid, welch harter Kampf um Sinn, welche Opfer! Soll man kämpfen? Ich denke: eindeutig ja. Verständnis für Pferde und Kater habe ich dennoch mehr als früher.



PS: Das Bild des Trojanischen Pferdes stammt von hier. Eine schöne Interpretation von Yeats‘ Gedicht durch Andrew Barker findet sich hier. Und hier ist meine Übersetzung von Yeats‘ Gedicht:

Warum sollte ich ihr vorwerfen, dass sie meine Tage
Mit Kummer füllte oder dass sie kürzlich
Unwissenden die gewalttätigsten Wege beibrachte
Oder die kleinen Straßen auf die großen schleuderte,
Hätten sie nur so viel Mut wie Verlangen?
Was hätte sie denn friedvoll machen können, sie mit einem Geist,
Den edle Gesinnung einfach wie ein Feuer machte,
Mit Schönheit wie ein gespannter Bogen, einer Art,
Die nicht natürlich ist in einem Zeitalter wie diesem,
Sie, die erhaben und einsam und sehr streng ist?
Was hätte sie denn tun können, so wie sie ist?
Gab es ein anderes Troja, das für sie hätte brennen können?

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