Paradigmenwechsel in der Zeitenwende

Der aktuelle Krieg wird insofern eine Zeitenwende sein, als er weltanschaulichen Paradigmenwechseln, die sich bereits vorher subkutan angedeutet haben, zum endgültigen Durchbruch verhelfen wird.

Der gesellschaftlichen Linken bietet dies die Chance, bislang vertretene Positionen mit undurchdachten Momenten und Aspekten zu revidieren, ohne linke Grundüberzeugungen ganz über Bord zu werfen. Drei Beispiele:

1)

Der beschlossene Aufbau des Bundeswehrsondervermögens von 100 Mrd. € zeigt, dass das Postulat absoluter finanzieller Knappheit kein taugliches Konzept ist und daher auch die Schuldenbremse angegriffen werden kann.

Daher ist es für Linke auch kein tauglicher Ansatz, mit der Schere angeblicher finanzieller Knappheit im Kopf zu lamentieren, dass man die vermeintlich knappen 100 Mrd. € besser für andere Zwecke hätte einsetzen sollen.

Tauglicher wäre es, als Linke einesteils zu sagen, dass für gesellschaftliche Erfordernisse finanzielle Mittel mobilisierbar und verfügbar sind, und andernteils zu erörtern, welche Ausgaben für welche Zwecke und in welcher Höhe als erforderlich angesehen werden und welche eben nicht.

2)

Die Transformation der Energieerzeugung hin zu nicht-fossilen Verfahren erfordert das Denken in Übergangsszenarien und eine Berücksichtigung des Aspekts des Energiesicherheit.

Die Linke tut gut daran, in ihren Anstrengungen für die solare Wende nicht nachzulassen und dabei den gesamten Instrumentenkasten mit öffentlichen Ausgaben für Investitionen und Zuschüsse, öffentlicher Trägerschaft, Geboten und Verboten, Preislösungen und Anreizen für private Transaktionen zu nutzen.

Sie sollte aber zeitgleich genau erwägen, welche Bedeutung Gas und Atom im Rahmen eines Übergangsmanagements haben – sei es im Rahmen eigener Erzeugung, sei es im Zuge von Importstrategien mit geeigneten Partnerländern.

3)

Die Linke steht in der Tradition, auch auf zivile Konfliktlösungsmechanismen zu vertrauen, multiperspektivisch konfligierende Interessen in den Blick zu nehmen und diese im Rahmen kollektiver Sicherheitsüberlegungen integrieren zu wollen. An diesen Traditionen sollte sie festhalten. Dies enthebt sie aber nicht ihrer Verantwortung, konkrete Urteile und Entscheidungen zu fällen, anstatt nur abstrakte Prinzipien hochzuhalten.

Es ist möglich, in schweren Konfliktfällen zeitlich begrenzt Sanktionen und Interventionen zu fordern, ohne Sanktionen und Interventionen entweder im Übermaß zu bejubeln oder ganz und gar zu verdammen.

Es ist möglich, sich für eine Modernisierung der Bundeswehr bei Organisation, Entscheidungsfindung, Bestellwesen, Ausstattung und Material auszusprechen und dafür Mehrausgaben zuzustimmen, ohne einer Regelbindung in Form eines 2%-Ziels das Ja zu erteilen.

Es ist möglich, Praktiken der Nato und unzureichende Bemühungen des Westens um kollektive Sicherheitssysteme zu kritisieren, ohne den Austritt aus der Nato zu fordern, die Einbindung in die Politik des Westens ganz und gar in Frage zu stellen oder sich vor einer Verurteilung der Praxis autoritärer Regime zu drücken.

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