Rezension: Eliten und Macht in Europa

Michael Hartmann: Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich, Campus, Frankfurt/M 2007 (268 S., br., 19,90 €)

Hartmann untersucht die (trans-)nationalen Eliten Europas und ihren Einfluss. Eliten definiert er anhand institutioneller Macht: Wirtschaftsführer und Spitzenpolitiker gehören ebenso dazu wie hohe Verwaltungsbeamte und Richter. In einer kurzen Skizze über die Entwicklung der Einkommensverteilung zeigt der Autor, dass die Entlohnung nicht dem neoklassischen Paradigma der – wie auch immer gemessenen und bewerteten – Leistung, sondern der Machtposition folgt. “In welchem Ausmaß den Eliten die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen gelingt, hängt auf nationaler wie auf europäischer Ebene vor allem von zwei Faktoren ab: der Homogenität der zentralen Eliten und ihrer Verankerung in der herrschenden Klasse, das heißt letztlich auch der Selbstreproduktion der Eliten.” (17)

Hartmann konstatiert für die europäischen Länder eine mehr oder weniger starke Geschlossenheit der Eliten sowie nach Abstammung und Bildungsweg sich unterscheidende Rekrutierungstraditionen. Für Frankreich und Großbritannien lässt sich die Dominanz von Elitebildungseinrichtungen, wie Eton und die Grandes Ècoles, nachweisen, die sehr homogene Eliten hervorbringen. Die Rekrutierungsmechanismen dieser Einrichtungen berücksichtigen nicht nur erlerntes Wissen, sondern auch herkunftsabhängiges, inkorporiertes Auftreten. Die Mobilität der nationalen Eliten zwischen den Sektoren ist in Frankreich erheblich größer als in Großbritannien. Die Karrierewege sind in den Sektoren demnach vergleichsweise ähnlich, was eine stärkere Homogenität der französischen Elitestrukturen zur Folge hat.

Das Gegenstück zu den exklusiven Eliten Großbritanniens und Frankreichs liefern in Europa vor allem die Eliten der skandinavischen Länder. Dort ist die Öffnung des Bildungszuganges sehr ausgeprägt, was aber alleine eine exklusive Elite nicht verhindern kann, da weniger formal zertifiziertes Wissen als der Habitus das entscheidende Zugangskriterium zu den Eliten darstellt. Von entscheidender Bedeutung ist der hohe Anteil öffentlicher und genossenschaftlicher Unternehmen in Skandinavien, da deren Rekrutierungsmechanismen erheblich von denen der Privatwirtschaft abweichen. Bis zu einem gewissen Grade erhöht dies die Durchlässigkeit der Eliten.

Die deutschen Elitenstrukturen gewinnen laut Verf. an Exklusivität. Während die Struktur der deutschen Wirtschaftseliten vor allem wegen ihrer Rekrutierung aus Familienunternehmen immer schon der Exklusivität Frankreichs und Großbritannien nahe kam und eine spürbare Öffnung der Verwaltungseliten auch im Zuge der Bildungsexpansion ausblieb, verlief die Rekrutierung der politischen Elite lange relativ demokratisch. Genau hier beobachtet Hartmann in jüngster Zeit einen Bruch: “Die Verankerung der Parteien in der Bevölkerung nimmt drastisch ab, der Anteil der Bürger- und Großbürgerkinder in den Regierungen gleichzeitig erheblich zu”. (221) Zudem könnten die hochschulpolitische Exzellenzinitiative und die daraus hervorgehenden Elitehochschulen die Schließung der Eliten noch beschleunigen. – Ein Exkurs über die europäischen Eliten zeigt im Wesentlichen, dass die Rekrutierungsmuster denen der nationalen Herkunftsländer entsprechen, sich also bisher keine transnationale europäische Elite mit Reproduktionsformen jenseits der Nationalstaaten herausgebildet hat.

Schließlich korreliert Hartmann die Homogenität der nationalen Eliten mit der nationalen Einkommensungleichheit. Diese ist im Wesentlichen umso größer, je homogener die Elite ist. Der Zusammenhang allerdings ist nicht linear, sondern abhängig von anderen Faktoren, etwa den Erwartungen der Bevölkerung an den Staat. In Frankreich z.B. fordert die Bevölkerung Teilhabe ein, die die Elite zur Absicherung eigener Privilegien auch gewährt. In der Folge verfügt dieses Land über eine erheblich gleichere Einkommensverteilung als Großbritannien.

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