Denken wir an Kroatien, haben wir beeindruckend schöne Bilder von Meer, Strand, Sonne und üppiger Vegetation vor Augen. Wir betrachten also Kroatien gleichsam durch die Brille des Touristen. Wir aber lebt es sich als Kroate in Kroatien? Welche Lebensverhältnisse gibt es dort, und welche Entwicklung hat dort in den vergangenen Jahrzehnten nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg stattgefunden?
Um das zu verstehen, widmen wir uns ökonomischen Darstellungen, die vom Verfasser dieses Textes auf Grundlage von Eurostat-Daten mit einigem Aufwand eigenständig angefertigt worden sind, um Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei werden die ökonomischen Daten in Kroatien jeweils mit jenen in Serbien verglichen, um die Werte besser einordnen zu können. Wir starten 1995, also nach den fürchterlichen Ereignissen um den Kroatien- und Bosnienkrieg, aber noch vor dem nicht weniger schlimmen Kosovokrieg.
Das nominale und reale BIP in Kroatien und Serbien zwischen 1995 und 2022
Fangen wir an, indem wir uns die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in Kroatien und Serbien auf EUR-Basis anschauen.
Wir sehen, dass das Bruttoinlandsprodukt zu laufenden Preisen, das sog. nominale BIP, auf EUR-Basis 1995 in Serbien noch höher lag als in Kroatien, wohingegen von 1995 bis 2022 das nominale BIP auf EUR-Basis in Kroatien jenes in Serbien überholt hat. Denn das durchschnittliche nominale Wachstum in Kroatien betrug 5,09% p.a. und lag damit höher als das nominale Wachstum von 3,10% in Serbien.
Doch die Tücke steckt im Detail: Es handelt sich um das BIP zu laufenden Preisen. Ein Vergleich muss jedoch in Rechnung stellen, dass das nominale BIP-Wachstum auch die Preisveränderungen miterfasst. Wir sind aber daran interessiert, auch zu erfahren, wie sich das Bruttoinlandsprodukt zu konstanten Preisen, das sog. reale BIP, entwickelt hat. Hierfür müssen wir die Preisveränderungen aller Güter und Dienstleistungen, mit denen das BIP errechnet wird, gleichsam herausrechnen. Schauen wir daher auf die Inflation dieser Güter und Dienstleistungen, die als Deflator bezeichnet wird, der dazu dient, aus einem nominalen ein reales, preisbereinigtes Wachstum zu ermitteln.
Offensichtlich sind die Preise in Kroatien gestiegen, wohingegen sie in Serbien sogar knapp gesunken sind. In Kroatien belief sich die Inflation auf 2,66% p.a., in Serbien hingegen auf -0,10% p.a.
Wie hoch ist also das reale BIP-Wachstum in beiden Ländern? Anders formuliert: Was bleibt von ihrem nominalen BIP-Wachstum übrig, nachdem es um die Preisveränderungen bereinigt worden ist? Ein brauchbarer Ansatz, der jedoch leicht ungenau ist, besteht darin, vom nominalen Wachstum die Inflationsrate abzuziehen. Genauer ist es indes, die Entwicklung des realen BIP, berechnet zu Preisen eines fixierten Jahres, etwa 1995, zu betrachten.
Wir sehen: Die Entwicklung kehrt sich nun um. Da wir mit den Preisen von 1995 operieren, sind die Startwerte des BIP in beiden Ländern identisch zur Betrachtung des nominalen BIP: Serbien liegt 1995 vor Kroatien. Doch unter der Maßgabe konstanter Preise überholt Kroatien diesmal Serbien nicht im Zeitverlauf. Vielmehr kann Serbien seinen Vorsprung ausbauen. Dies drückt sich darin aus, dass das reale Wachstum in Kroatien im Schnitt 2,37% p.a. (≈ 5,09% – 2,66%) betrug, während es sich in Serbien auf 3,21% (≈ 3,10% – (-0,10%)) belief.
Kurzum: Zwischen 1995 und 2022 hat sich die ökonomische Lage als ganze in Serbien etwas besser entwickelt als in Kroatien. Doch der Blick auf das Ganze der Ökonomie hat den Nachteil, dass er die Bevölkerungsentwicklung nicht in den Blick nimmt. Wir müssen diese aber betrachten, um zu qualifizierten Aussagen hinsichtlich dessen zu kommen, was pro Kopf in einem Lande ankommt. Daher widmen wir uns nun kurz der Demographie.
Die demographische Entwicklung in Kroatien und Serbien zwischen 1995 und 2022
Betrachten wir also, wie sich die Bevölkerungszahlen in Kroatien und Serbien zwischen 1995 und 2022 entwickelt haben.
Betrachtet man den gesamten Zeitraum zwischen 1995 und 2022, so ist die Bevölkerung in Kroatien um 0,62% p.a. und in Serbien um 1,34% p.a. gesunken.
Allerdings ist in Rechnung zu stellen, dass sich im Zuge des Konflikts zwischen Serbien und dem Kosovogebiet die Bevölkerung in Serbien von 1998 auf 1999 um 2,2 Mio. Personen reduziert hat, also um 22,9% innerhalb eines Jahres. Dieser Effekt, der einerseits Gebietsverschiebungen zwischen den Konfliktparteien und andererseits Wanderbewegungen zwischen ihnen geschuldet ist, macht einen Großteil des Rückgangs in Serbien aus.
Auch in Kroatien ist im Hinblick auf die Bevölkerung ein Zeitreihenbruch zu verzeichnen. Von 2001 auf 2001 sank die kroatische Bevölkerung um knapp 160.000 Personen, mithin um 3,8% zum Vorjahr. Dieser Effekt gründet in den Auswanderungsbewegungen von Serben aus der umkämpften Krajna, die ihre Heimat verlassen haben, nachdem die Krajna Kroatien zugesprochen worden war.
Das nominale und reale BIP pro Kopf in Kroatien und Serbien zwischen 1995 und 2022
Da die Bevölkerung in beiden Ländern im Schnitt zurückgegangen ist, folgt daraus, dass das reale BIP pro Kopf stärker gestiegen ist als das reale BIP insgesamt.
Die Steigerungsrate lässt sich genau ermitteln, indem zunächst das reale BIP, etwa zu konstanten Preisen von 1995, durch die Bevölkerungszahl dividiert wird, um das reale BIP pro Kopf zu ermitteln, und indem man anschließend dessen Wachstum p.a. ermittelt. Annähernd zum selben Ergebnis kommt man, wenn man vom jährlichen Wachstum des realen BIP pro Kopf das Wachstum der Bevölkerung subtrahiert. Wie lautet das Resultat? In Kroatien ist das BIP pro Kopf um 3,00% p.a. (≈ 3,21% – (-0,62%)) und in Serbien um 4,61% p.a. (≈ 3,21% – (-1,34%)) gestiegen. Damit wir uns dies besser vorstellen können, zeigen wir nun die Entwicklung anhand konkreter Werte an.
1995 betrug das BIP pro Kopf zu laufenden Preisen in Kroatien 3.790 EUR und in Serbien 2.720 EUR. 27 Jahre später liegt das BIP pro Kopf in Kroatien bei 17.130 EUR und in Serbien bei 8.920 EUR. Mithin beläuft sich der Anstieg in Kroatien auf das 2,23-fache und in Serbien auf das 3,37-fache des Anfangswerts. Den relativen Abstand hat Serbien also verkürzen können, wohingegen der absolute Vorsprung Kroatiens ausgebaut werden konnte.
Doch Vorsicht: Auch beim BIP pro Kopf muss die Preisveränderung herausgerechnet werden, um taugliche Urteile zum kaufkraftfähigen, realen BIP pro Kopf bilden zu können. Tun wir das und berücksichtigen, dass die Preise in Kroatien gestiegen und in Serbien knapp gesunken sind, dreht sich das Ergebnis um. Zu konstanten Preisen von 1995 betrug das reale BIP pro Kopf wie gehabt in Kroatien 3.790 EUR und in Serbien 2.720 EUR. 27 Jahre später hingegen liegt das reale, zu Preisen von 1995 ermittelte reale BIP pro Kopf in Kroatien bei 8.436 EUR und in Serbien bei 9.177 EUR. Nach Herausrechnung der preislichen Veränderungen steht also Serbien besser da als Kroatien.
Doch eine weitere Einrede ist vonnöten. Bei allen bisherigen Darstellungen wurden Ergebnisse in EUR ausgewiesen. In Kroatien ist der Euro jedoch erst 2023 eingeführt worden, und in Serbien gibt es ihn nach wie vor nicht. Das heißt aber, dass Wechselkursbewegungen in die dargestellten Werte reinspielen. Deflationiert man und arbeitet man mit Werten zu laufenden Preisen, wird zwar der direkte preisliche Effekt der Wechselkursbewegungen ausgeschaltet, aber es verbleibt eine Verzerrung, nämlich, dass es in zwei Ländern unterschiedliche Warenkörbe gibt, die eine echte Vergleichbarkeit erschweren.
Um diese Verzerrung auszublenden, arbeitet man in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bisweilen gerne mit einer anderen, unechten Form der Deflationierung, nämlich mit Kaufkraftparitäten (KKP). Diese Form ist unecht, weil nicht die Preisentwicklungen herausgerechnet werden, sondern vielmehr die Waren- und Dienstleistungen, auf die sich eine nominale Summe bezieht, standardisiert werden: “KKP zeigen die Anzahl Währungseinheiten eines Landes, die zum Erwerb einer bestimmten Menge von Waren und Dienstleistungen benötigt werden. Für die Berechnung werden die Preise eines gemeinsamen repräsentativen Waren- und Dienstleistungskorbes in den verschiedenen Ländern erhoben. Die KKP ermöglichen aussagekräftigere Vergleiche der Kaufkraft (in Preisen oder Volumen) zwischen Ländern als Wechselkurse.”
2022 musste für den gemeinsamen repräsentativen Waren- und Dienstleistungskorb im Durchschnitt der EU 1 sogenannter Kaufkraftstandard-EUR (KKS) bezahlt werden. Für denselben Waren- und Dienstleistungskorb musste man in Kroatien 0,665726 Kuna, in Serbien 67,4394 Dinar und in Deutschland 1,11967 EUR zahlen. Daraus folgen Kaufkraftparitäten (KKP) von 0,665726 Kuna/KKS in Kroatien, 67,4394 Dinar/KKS in Serbien und 1,11967 EUR/KKS in Deutschland.
2022 betrug das Pro-Kopf-Einkommen in Kroatien 17.130 Kuna, was 17.130 Kuna ÷ 0,665726 Kuna/KKS = 25.731,31 KKS entspricht. Beim serbischen Pro-Kopf-Einkommen von 1.047.380 Dinar in 2022 ergeben sich 1.047.380 Dinar ÷ 67,4394 Dinar/KKS = 15.530,68 KKS. In Deutschland, das wir nur zur Veranschaulichung benennen, betrug das Pro-Kopf-Einkommen 46.180 EUR, so dass man auf 46.180 EUR ÷ 1,11967 EUR/KKS = 41.244,30 KKS kommt.
Beim Pro-Kopf-Einkommen in EUR-KKS liegt also Kroatien vor Serbien, wohingegen beim preisbereinigten Pro-Kopf-Einkommen auf EUR-Basis Serbien vor Kroatien liegt. Wie kommt das, und was ist der richtige Maßstab? Die Antwort ist, dass beide Darstellungen ihre Vorzüge genießen, was erläutert werden soll.
Würde der Wechselkurs den Verkehr aller Waren und Dienstleistungen abbilden, müsste er so groß sein wie die KKP. In Kroatien hätte dann 2022 der Wechselkurs 0,665726 Kuna/EUR betragen müssen, da sich die KKP auf 0,665726 Kuna/KKS belief. In Wirklichkeit lag der Wechselkurs Kroatiens 2022 aber im Schnitt bei 7,535 Kroatischen Kuna/EUR, also um mehr als den Faktor 10 höher. Offenbar gingen günstig verbleibende Preise kroatischer Waren und Dienstleistungen, die kaum mit dem Ausland gehandelt wurden, in nur geringem Ausmaß in den Wechselkurs ein, während die Preissteigerungen mit dem Ausland gehandelter Waren und Dienstleitungen stark in den Wechselkurs einflossen. Ähnliches gilt für Serbien: Dort betrug die KKP 67,4394 Dinar/KKS. Der Wechselkurs Serbiens lag aber 2022 im Schnitt bei 117,459 RSD/EUR, also um den Faktor 1,74 höher. Beide Länder sind also bei nicht gehandelten Waren und Dienstleistungen günstiger, als es der Wechselkurs zum Ausdruck bringt, wobei die Abweichung in Kroatien deutlicher ist. In Deutschland ist es umgekehrt: Dort belief sich die KKP auf 1,11967 EUR/KKS, obwohl es dort den EUR gibt, also einen Wechselkurs von 1 EUR/EUR. Deutschland ist mithin bei nicht gehandelten Waren und Dienstleistungen relativ betrachtet teurer als der Schnitt der EU. Das Fazit lautet, dass Kroatien gemäß KKP-Betrachtung seinen Vorsprung von 1995 gegenüber Serbien bis ins Jahr 2022 hat halten können, wenn man seine Betrachtung stärker auf nicht gehandelte Waren und Dienstleistungen bezieht.
Schaut man jedoch auf alle Waren und Dienstleistungen, hat Serbien Kroatien überholt. Das drückt sich darin aus, dass die kroatische Kuna gegenüber dem serbischen Dinar abgewertet hat und man zuletzt deutlich mehr Kuna für einen Dinar zahlen musste als noch Jahre vorher. Im Ganzen betrachtet, also unter Einbezug auswärtigen Handels, sind die Preise kroatischer Waren und Dienstleistungen stärker gestiegen als jene in Serbien. Wenn aber die Kuna gegenüber dem Dinar abgewertet hat, hat sich die Kuna auch gegenüber dem EUR oder dem USD relativ schwächer entwickelt hat als der Dinar. Eine Abwertung bedeutet indes, dass sich der Erwerb ausländischer Waren und Dienstleistungen verteuert. Die Möglichkeiten, ausländische Waren und Dienstleistungen zu erwerben, haben sich folglich in Kroatien schlechter entwickelt als in Serbien.
Arbeitsproduktivität in Kroatien zwischen 1995 und 2022
Das Einkommen pro Kopf hängt maßgeblich von der Produktivität der Arbeit im Zusammenspiel mit Produktionsmitteln, Boden und Technik ab. Diese Produktivität der Arbeit wird im Folgenden abgebildet als stundenbezogene Erwerbsproduktivität, also als Quotient von preisbereinigtem BIP und korrespondierender Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden, wobei nicht nur die Arbeitszeit der lohnabhängig Beschäftigten erfasst wird, sondern auch jene der leitenden Angestellten und der Selbständigen. Da wir auf diesem Feld über keine Daten Serbiens verfügen, müssen wir uns mit Angaben zu Kroatien bescheiden.
Wenn die Erwerbsproduktivität als Quotient von preisbereinigtem BIP und gearbeiteten Arbeitsstunden stärker steigt als das preisbereinigte BIP selbst, folgt logischerweise, dass die Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden sinkt. Wenn hingegen die Erwerbsproduktivität schwächer steigt als das preisbereinigte BIP, steigt die Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden. Im Folgenden wird die Entwicklung von Erwerbsproduktivität, realem BIP und Arbeitsvolumen in Kroatien mit Indexzahlen abgebildet.
Bis 2002 entwickelten sich Erwerbsproduktivität und reales BIP nahezu gleichläufig, so dass sich die Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden kaum verändert hat. Von 2002 bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008 stieg die Erwerbsproduktivität schwächer als das reale BIP, so dass die Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden anstieg. Von 2008 bis 2014 stieg die Erwerbsproduktivität weiter, wohingegen das reale BIP sogar leicht sank, so dass die Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden sank. Seit 2014 stiegen wieder sowohl Erwerbsproduktivität als auch reales BIP, wobei der Anstieg des realen BIP leicht überwog, so dass die Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden wieder stieg.
Dass zuletzt die Anzahl an gearbeiteten Arbeitsstunden gestiegen ist, kann auf vier Arten umgesetzt werden: erstens in eine kollektive Verlängerung der Arbeitszeit pro Kopf, was bei Produktivitätsfortschritten nicht progressiv ist; zweitens in eine Erhöhung der Arbeitszeit von bislang in Teilzeit Beschäftigten auf freiwilliger Basis, was sinnvoll sein kann; drittens in eine Reduzierung unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, was wünschenswert ist; viertens in eine Erhöhung der Erwerbsquote als Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung, die begleitet wird von einer Integration der bislang nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen in Beschäftigung, was ebenfalls Sinn ergibt.
Produktionsseitige Gründe für das BIP-Wachstum in Kroatien und Serbien zwischen 2010 und 2022
Wir schauen uns jetzt die Entwicklung des realen, preisbereinigten BIP genauer an und fragen nach den Bestimmungsgründen für diese Entwicklung. Dabei werden wir uns im Gegensatz zum bisherigen Vorgehen auf die Zeit ab 2010 konzentrieren und nicht bis 1995 zurückblicken. Sollte es sich um Wachstumsraten handeln, wird stets das preisbereinigte Wachstum im Vergleich zum Vorjahr ausgewiesen. Dies ist der Grund dafür, dass bei Wachstumsraten zuerst stets das Jahr 2011 ausgewiesen wird, denn es handelt sich beim Wachstum im Jahre 2011 um das Wachstum von 2010 auf 2011. Wir starten mit einer Darstellung der Wachstumsraten des realen, preisbereinigten BIP in Kroatien und Serbien.
Warum ist es so gekommen, wie es gekommen ist? In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gibt es zwei Ansätze zur Erklärung von Wachstumsbeiträgen: die Entstehungs- und die Verwendungsrechnung.
Die Entstehungsrechnung fragt danach, durch welche Sektoren auf der Angebotsseite Produktion und Einkommen entstanden sind. Hierfür fragen die Statistischen Ämter alle Unternehmen, welcher Produktionswert als Summe von Umsatz und erzeugtem Lagerwert von ihnen hervorgebracht wurde. Da in den produzierten Leistungen Vorleistungen anderer Unternehmen enthalten sind, muss bei jedem Unternehmen der Vorleistungswert vom Produktionswert abgezogen werden, um auf aggregierter Ebene Doppelzählungen zu vermeiden. Die Differenz von Produktionswert und Vorleistungen heißt Bruttowertschöpfung. Nun lässt sich durch Summierung einerseits die sektorale Bruttowertschöpfung, andererseits die gesamtwirtschaftliche Bruttowertschöpfung ermitteln. Addiert man zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung noch Gütersteuern und subtrahiert man Gütersubventionen, gelangt man zum Bruttoinlandsprodukt. Schauen wir nun auf die Anteile der verschiedenen sektoralen Wertschöpfungen an der nominalen Gesamtwertschöpfung in Kroatien und Serbien.
Wir sehen, dass der sektorale Wandel der meisten Industrieländer auch Kroatien und Serbien erfasst hat. Der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung, der in Kroatien 1995 noch über 25% gelegen hat, ist seit 2010 im Trend rückläufig und nimmt hier nur noch den dritten Rang ein. Im stärker industrieorientierten Serbien befindet sich der Anteil der Industrie zwar nach wie vor auf dem ersten Rang, ist aber auch hier dem Trend nach rückläufig. Auch die Landwirtschaft ist nur von nachrangiger Bedeutung. In Kroatien beläuft sich ihr Anteil konstant auf unter 5% und ist seit 2010 von 4,3% auf 3,3% gefallen. Serbien ist zwar stärker landwirtschaftlich geprägt als Kroatien und verzeichnet sogar einen leichten Anstieg beim Anteil an der gesamten Wertschöpfung, aber die Werte zwischen 7,9% und 8,25 sind auch in Serbien nicht besonders groß.
Welche Sektoren sind aber bedeutend und haben insbesondere den Rückgang der Industrie kompensiert? In Kroatien genauso wie in Serbien stellen Handel, Instandhaltung, Verkehr, Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie einen sehr wichtigen Sektor dar. In Kroatien ist es vor allem der Tourismus an der Adriaküste, der hier maßgeblich ist und dazu beigetragen hat, dass der sektorale Anteil von etwa 21% auf 24% gestiegen ist. In Serbien ist der Anteil von gut 19% auf über 21% gestiegen, wobei zu vermuten ist, dass der Tourismus wegen der fehlenden Küste in Serbien etwas weniger ins Gewicht fällt als in Kroatien.
Interessant ist, dass der sektorale Anteil des verarbeitenden Gewerbes als Schwester der Industrie zwar in beiden Ländern auf dem Rückmarsch ist, sich aber in Serbien auf höherem Niveau hält als in Kroatien. Der sektorale Anteil des öffentlichen Dienstes ist hingegen in Kroatien höher als in Serbien und hat in Kroatien sogar sein Niveau ausbauen können. Ob es sich hierbei um Verwaltung, Verteidigung, Bildung oder soziale Daseinsvorsorge für Gesundheit und Pflege handelt, ist den Eurostat-Daten nicht zu entnehmen.
Es liegt auf der Hand, dass der sektorale Anteil dem Beitrag eines Sektors zum realen BIP-Wachstum gleichsam das Gewicht verleiht. Und so wird der Beitrag eines Sektors zum realen BIP-Wachstum auch dadurch ermittelt, dass das reale Wachstum des Sektors im Vergleich zum Vorjahr mit dem Anteil des Sektors an der nominalen Gesamtwertschöpfung aus dem Vorjahr multipliziert bzw. gewichtet wird. Ein Sektor kann also auf zwei Weisen zum realen BIP-Wachstum beitragen: über einen hohe Anteil an der nominalen Gesamtwertschöpfung und über sein eigenes preisbereinigtes Wachstum. Es ergeben sich folgende Wachstumsbeiträge der Sektoren, die summiert das Wachstum des realen BIP ergeben. welches aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht in den Grafiken aufgeführt wird.
In Kroatien macht der Sektor aus Handel, Instandhaltung, Verkehr, Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie den größten Beitrag zum realen BIP-Wachstum aus, und zwar sowohl im positiven Sinne, wenn er das reale BIP-Wachstum treibt, als auch im negativen Sinne, wenn er es nach unten zieht. Es dürfte sich hier vor allem um die Tourismusbranche gehandelt haben. Ebenfalls treibend wirkt in Kroatien der öffentliche Sektor aus Verwaltung, Verteidigung, Bildung oder soziale Daseinsvorsorge für Gesundheit und Pflege sowie die Industrie. Dies alles korrespondiert den sektoralen Gewichten am BIP. Es gibt jedoch auch Fälle wie 2020, als der Sektor aus Information und Kommunikation trotz seines eher geringen Anteils an der nominalen Gesamtwertschöpfung einen hohen Wachstumsbeitrag erzeugte, weil sein eigenes preisbereinigtes Wachstum überdurchschnittlich hoch war.
Auch in Serbien ist es der Sektor aus Handel, Instandhaltung, Verkehr, Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie, der auf schwankende Weise einen großen Beitrag zum realen BIP-Wachstum erzeugt. Ebenfalls hohe Beiträge zum realen BIP Wachstum gingen zuletzt im stärker industrialisierten Serbien von Industrie, verarbeitendem Gewerbe und Baugewerbe aus.
Nachfrageseitige Gründe für das BIP-Wachstum in Kroatien und Serbien zwischen 2010 und 2022
Das BIP entspricht wie geschildert dem Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen, soweit diese nicht als Vorleistungen für die Produktion anderer Waren und Dienstleistungen verwendet werden, wobei noch Gütersteuern zur Wertschöpfungssumme addiert und Gütersubventionen von ihr abgezogen werden. Das BIP ermöglicht in der Primärverteilung Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit, Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen, verdiente Abschreibungsgegenwerte zur Finanzierung der Ersatzinvestitionen sowie die an den Staat gehende Differenz von Gütersteuern und Subventionen. Des Weiteren gibt es ein Hin und Her zwischen Zahlungen von Steuern aus den Bruttoeinkommen an den Staat und Transferleistungen vom Staat an Haushalte und Unternehmen, siehe hier.
Jedenfalls ist es so, dass einerseits aus all diesen Einkommen vier nachfrageseitige Verwendungen bzw. Aggregate resultieren, die dafür sorgen, dass die produzierten Waren und Dienstleistungen auch abgesetzt werden, nämlich der Konsum, die Bruttoinvestitionen, die (konsumtive) Staatsnachfrage sowie der Export. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass nicht nur im Inland erzeugte, sondern auch importierte Waren und Dienstleistungen nachgefragt werden können. Kurzum: Man spricht davon aus, dass das produzierte BIP durch die nachfrageseitigen Aggregate namens Konsum, Bruttoinvestitionen, Staatsnachfrage sowie Außenbeitrag (Exporte minus Importe) verwendet werden kann. Gäbe es diese nachfrageseitige Verwendung nicht, würde das BIP langfristig nicht erzeugt werden. Daher ist es legitim zu sagen, dass nicht nur Produktion durch Einkommen Nachfrage ermöglicht, sondern auch Nachfrage durch Einkommensverwendung Produktion realisiert und möglich macht. Welche Aggregate haben aber in Kroatien und Serbien zum Wachstum beigetragen? Hierfür schauen wir uns analog zur Entstehungsrechnung an, welche Anteile die nachfrageseitigen Aggregate am nominalen BIP hatten.
Wir sehen, dass in Kroatien durchgehend etwa 80% des BIP durch Konsum verwendet wurden. Der Anteil der bruttoinvestiven Verwendung stieg von knapp unter 20% auf etwas über 20%. Da die Summe aller Verwendungen 100% betragen muss, war die Steigerung der bruttoinvestiven Verwendung nur dadurch möglich, dass der Anteil der Importe am BIP mit deutlich über 60% größer war als jener der Exporte mit knapp über 60%. Kroatien ist also zuletzt Außenhandelsdefizite eingegangen. Wichtig ist außerdem der Umstand, dass Exporte und Importe für sich gesehen hohe und gar steigende Anteile am BIP aufweisen, die in der Saldierung zum Außenbeitrag nicht mehr ersichtlich sind.
In Serbien wurden zunächst mehr als 80% des BIP durch Konsum verwendet. Der Konsum war hier also anfänglich wichtiger als in Kroatien. In den letzten Jahren ist der Anteil des Konsums gesunken auf den 80%-Wert von Kroatien. Auch in Serbien ist der Anteil der bruttoinvestiven Verwendung von knapp unter 20% auf über 20% gestiegen. Die Steigerung der bruttoinvestiven Verwendung wurde durch die Senkung des konsumtiven Anteils ermöglicht. Daher ist das von Anfang an gegebene Außenhandelsdefizit in Serbien sogar im Trend leicht gesunken. Auch in Serbien gibt es hohe und steigende Anteil von Exporten und Importen am BIP.
Auch auf der Nachfrageseite fragen wir nun nach dem Beitrag der Aggregate zum realen BIP-Wachstum. Analog zur Entstehungsrechnung gilt auch bei der Verwendungsrechnung, dass der Beitrag eines Nachfrageaggregats zum realen BIP-Wachstum sich dadurch ergibt, dass das reale Wachstum des Aggregats im Vergleich zum Vorjahr mit dem Anteil des Aggregats an der nominalen Gesamtwertschöpfung aus dem Vorjahr multipliziert bzw. gewichtet wird. Auch ein Aggregat kann also auf zwei Weisen zum realen BIP-Wachstum beitragen: über einen hohe Anteil an der nominalen Gesamtwertschöpfung und über sein eigenes preisbereinigtes Wachstum, siehe hier bzw. hier. Es ergeben sich folgende Wachstumsbeiträge der Aggregate, die summiert das Wachstum des realen BIP ergeben, welches diesmal in den Grafiken ebenfalls aufgeführt wird.
In Kroatien ist insgesamt das reale BIP-Wachstum zuletzt gestiegen, was auch auf Nachholeffekte nach der Pandemie zurückzuführen sein dürfte. In den letzten zwei Jahren ist der Konsum der wichtigste Treiber für sich gewesen. Die Bruttoinvestitionen haben zwar zwischen 2015 und 2018 ordentlich zum realen BIP-Wachstum beigetragen, aber weder in der noch nach der Pandemie kamen positive Impulse durch sie. Der Export ist sogar oftmals der stärkste Treiber zum realen BIP-Wachstum, aber er kann nicht allein für sich betrachtet werden, sondern ist zu kontrastieren mit dem Import, der, weil er Abflüsse von Einkommen verantwortet, das reale BIP-Wachstum oftmals stärker gedrückt hat, als es durch den Export gepusht wurde.
Auch in Serbien ist insgesamt das reale BIP-Wachstum zuletzt gestiegen, was mit der Pandemie tun haben dürfte. Zwar ist auch in Serbien zuletzt der Konsum der wichtigste Treiber für sich gewesen, doch stärker als in Kroatien haben im gesamten Trend auch die Bruttoinvestitionen zum realen BIP-Wachstum beigetragen, was durch die störkere industrielle Ausrichtung Serbiens zu erklären sein dürfte. Auch in Serbien ist der Export oftmals der stärkste Treiber zum realen BIP-Wachstum gewesen, aber der Import als sein Gegenstück ist wie erläutert mit zu betrachten. Hier ergibt sich anders als in Kroatien, dass der Import das reale BIP-Wachstum im Trend etwas weniger gedrückt hat, als es durch den Export gepusht wurde, was dem Umstand korrespondiert, dass das Exportdefizit leicht reduziert werden konnte.
Die Verteilung
Ohne große statistische Aufbereitung soll erwähnt werden, dass sowohl in Kroatien als auch in Serbien die Ungleichheit der Einkommensverteilung, wie sie etwa durch den Gini-Koeffizienten gemessen wird, vor und nach Abgaben und Transfers leicht rückläufig ist, was positiv zu würdigen ist.
Eine Website mit einer guten Übersicht von Daten im Ländervergleich
Zusätzlich wird eine gute Übersicht von Daten im Ländervergleich empfohlen, die auf dieser Website einzusehen ist. Teils werden hier bereits in diesem Text erläutere Daten wiederholt, teils werden auf dieser Website ergänzende Daten präsentiert.