Gewinnabhängigkeit der Lebensverhältnisse

Eine Schwachstelle der LINKEN ist für mein Befinden ihr unzureichender Umgang mit der Gewinnabhängigkeit der Lebensverhältnisse. Diese drückt sich darin aus, dass kapitalistische Warenproduktion nur dann stattfindet, somit Investitionen veranlasst und Arbeitskräfte nachfragt, wenn Gewinn erzielt wird.

Aufgabe einer linken Partei ist es natürlich, diese Gewinnabhängigkeit und ihre Entfremdungstendenzen zu kritisieren und praktisch zu reduzieren. Dies ist es, was Rio Reiser im Sinn hatte, als er die Zeile „Wir sind geboren, um frei zu sein“ im Lied „Wir müssen hier raus“ schrieb: eine Befreiung von Entfremdungstendenzen der Lohnarbeit.

Aufgabe einer linken Partei ist es aber auch, den Tiger der Gewinnabhängigkeit zu reiten und als ideeller Gesamtkapitalist jene Bedingungen mitzusetzen, damit auf (noch) kapitalistischer Basis Güterversorgung und Vollbeschäftigung garantiert sind. Freilich umfasst dieses Programm nicht nur Gewinnerzielung, sondern auch, dass gute Bruttolöhne ermöglicht werden, die Staatsnachfrage hinreicht und Geld-, Staatsschulden- und Steuerpolitik richtig austariert werden. Doch Gewinnerzielung ist eben auch Teil des Programms.

Dass dieses Programm eine technokratische Schlagseite hat, liegt auf der Hand. Dies ist ein Grund dafür, dass Linke teils hiermit fremdeln. Hinzu kommt, dass viele Linke sich Verteilung nur als Tauziehen zwischen Bruttolöhnen und Bruttogewinnen innerhalb einer konstanten Wertschöpfung vorstellen können und nicht auf dem Schirm haben, dass höhere Bruttolöhne private und öffentliche Investitionen induzieren und daher mit höheren Bruttogewinnen und einer erhöhten Wertschöpfung einhergehen können.

Doch so richtig Fremdeln mit der Gewinnabhängigkeit und so nachvollziehbar unzureichendes Denken in konstanter Wertschöpfung auch sind: Für die LINKE wäre es falsch, den Tiger der Gewinnabhängigkeit nicht ideell-gesamtkapitalistisch zu reiten.

Dieser ideell-gesamtkapitalistische Ritt schließt auch die Vergesellschaftung von Eigentum, Umverteilungen zugunsten der Lohnabhängigen und Verbesserungen von Arbeits- und Lebensbedingungen ein. Aber der Ritt muss auch die Sicherung von Gewinnen und Mindestrentabilität im Blick haben.

Gewiss hat die Mehrheit der Lohnabhängigen keine detaillierten Einsichten in technokratische Fragen. Doch was sie haben dürften, ist die Erwartung an eine linke Partei, dass deren Expertinnen und Experten sich vor technokratischen Fragen nicht wegducken, sondern sich ihnen stellen und produktive Antworten suchen.

Daher ist die in der LINKEN gern diskutierte Fragestellung „Soziales oder Ökologie?“ falsch. Beide Dimensionen sind zu beachten, aber sie zu erfüllen bedeutet, sich nicht nur auf Sozial- und Umweltpolitik zu konzentrieren, sondern auch auf Einkommens-, Beschäftigungs-, Fiskal-, Geld- und Wirtschaftspolitik, die maßgeblich für sozialökologische Resultate sind.

PS: Dass die Kombination aus Systemüberwindung und systemimmanentem Ritt keine leichte Übung ist, ist klar, aber niemand sollte erwarten, dass Politik einfach ist.

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