Derby in coronalen Zeiten

Die Bahn ist voll. Hände klatschen gegen die Plexiglasfenster der Linie 1 auf dem Weg ins Müngersdorfer Stadion. Wir hören aus der Masse: „Erster Fußball-Club Köln!“ Sodann: „Und wir schmeißen Stein auf Stein auf die Elf vom Niederrhein.“

Wie nennt man das? Juvenile Präpotenz, glaube ich. Das kenne ich von mir, als ich 16 Jahre alt war. Wollen wir hoffen, dass diese Jungen sich nach diesen unsinnigen Albernheiten später auch individuell trauen, für kollektive Arbeitnehmerrechte einzutreten.

Heute bin ich nach vielen Jahren mal wieder ganz alleine im Stadion — so wie sehr oft in den 80ern. Anders als heute waren die Tickets damals aus Papier, Scanner gab es nicht, die Wurst wurde bar bezahlt. Das Stadion wurde jenseits des Derbys als gut gefüllt bezeichnet, wenn 30.000 da waren. Dafür waren aber die, die damals ins Stadion gingen, in aller Regel auch Fans des Spiels als solchen und definitiv keine Modefans.

Was damals auch anders war? Es gab keine Pandemie. Heute gibt es Tote — und es ist so traurig. Auf uns warten neue Virenvarianten. Ich hoffe, dass wir diesen pandemischen Mist bald in den Griff bekommen. Impfen ist m. E. Teil der Lösung. Sie erhöht den Selbstschutz und entlastet damit auch die Aufnahmefähigkeiten der gesellschaftlichen Intensivkapazitäten.

Zwar können auch Geimpfte mit ähnlicher Virenlast wie Ungeimpfte andere anstecken. Womöglich verringert aber die Impfung die Anzahl der Tage, in denen andere angesteckt werden, und die Gefährlichkeit der Virenlast. Wir wissen es nicht genau, aber eine neue Studie legt dies nahe, und auch das spricht für die Impfung.

Dass es Impfrisiken gibt, ist wahr, aber diese sind m. E. sehr gering und vor allem viel geringer als die durch Ungeimpftheit erhöhten COVID-19-Gefahren für einen selber. Zudem müssen die gesellschaftlichen Probleme der Intensivkapazitäten und der vielleicht erhöhten Wahrscheinlichkeit der Ansteckung anderer mitgedacht werden.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Gefahren für Ungeimpfte, an COVID-19 ernst zu erkranken, umso größer sind, desto älter sie sind. Zur Wahrheit gehört ebenso, dass die Pandemie zwar eher Ungeimpfte trifft und vielleicht (siehe oben) auch eher durch Ungeimpfte weitergetragen wird, aber dass sie auch Geimpfte trifft und auch von diesen weitergegeben wird.

Vermutlich hat Drosten recht, wenn er sagt, dass der Weg von der Pandemie zur beherrschbaren Endemie voraussetzt, dass wir alle irgendwann dem Virus selber oral und real exponiert werden. Je jünger jemand ist, desto besser wird er dies verkraften. Und ein geimpfter Älterer wird es im Schnitt auch besser verkraften als ein ungeimpfter.

In jedem Fall braucht die Gesellschaft die Kraft der Solidarität. Wir brauchen mehr und besser bezahlte öffentliche Daseinsvorsorge. Es braucht neben zu akzeptierenden privaten Einflüssen in Summe mehr öffentlichen Einfluss und mehr öffentliche Eigentümerschaft bei Forschung, Pharma, Behandlung und Krankenhäusern. Des Weiteren braucht es mehr internationale Solidarität. Die Pandemie ist international und muss auch international und solidarisch bekämpft werden. Wir brauchen schließlich auch den Schutz der Alten und der Verletzbaren.

Was auch erforderlich ist: dass wir unterschiedliche Meinungen aushalten und füreinander da sind, wenn es schwierig wird und um die Existenz geht.

Apropos Unterschiede: Ich habe unter meinen Freunden sehr viele Gladbach-Fans, deren völlig unverständliche Leidenschaft für MG ich ganz und gar nicht teile, die mich aber vor und nach dem Spiel durchs Leben tragen. Insofern sind es megaliebe Kumpels!

Mein Herz schlägt aber für den FC — nicht nur heute beim Spiel im Stadion, sondern e Levve lang. Auf den Derbysieg!

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