Der ökologische Wandel muss sozial sein

In den Niederlanden gibt es fette Bauernproteste gegen steigende Umweltauflagen durch die Regierung. Es ist sogar zu Schüssen gekommen.

Mich erinnert das an den Roman „Serotonin“ von Michel Houellebecq. Der Ich-Erzähler Florent, ein Agrarwissenschaftler, der als Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium „jahrelang mit Leuten konfrontiert gewesen (war), die bereit waren, für die Handelsfreiheit zu sterben“, sagt im Roman zu seinem Freund Aymeric und dessen Kumpel Frank: „Was derzeit mit der französischen Landwirtschaft passiert, ist ein riesiger Entlassungsplan (…), aber es ist ein geheimer, unsichtbarer Entlassungsplan, bei dem die Leute unabhängig voneinander verschwinden, in ihrer jeweiligen Gegend (…). (S)ind die europäischen Standards erreicht, haben wir immer noch nicht gewonnen, wir werden dann vielmehr an der Schwelle zur endgültigen Niederlage stehen, denn dann sind wir wirklich auf Tuchfühlung mit dem Weltmarkt, und die Schlacht der weltweiten Produktion werden wir nicht gewinnen.“ Frank fragt zurück: „Und Sie meinen nicht, dass es protektionistische Maßnahmen geben wird? Das halten Sie für völlig ausgeschlossen?“ Florent antwortet: „Völlig ausgeschlossen (…) Die ideologische Hürde ist zu hoch.“

Wie endet das Ganze? Aymeric, Frank und ein Syndikat von Landwirten ziehen in den bewaffneten Kampf gegen Staat und Polizei. Aymeric begeht während der Kampfhandlungen Suizid. Frank entlädt „seine Waffe, ohne überhaupt zu zielen, in Richtung der Bereitschaftspolizisten; mehrere andere Landwirte (tun) es ihm augenblicklich nach.“ Die Bereitschaftspolizisten machen „bei ihrem Gegenschlag (…) keine halben Sachen: Neun Landwirte (sind) auf der Stelle tot, ein zehnter (verstirbt) in der Nacht“.

Was sagt uns das? Moderne Produktion und moderner Konsum sind mit Naturverbrauch verbunden. Dieser Naturverbrauch sorgt für gesellschaftliche Kosten in Form von umweltproblematischen Emissionen, die den produzierenden Unternehmen und den Konsumenten bislang teils nicht in Rechnung gestellt werden. Wir sprechen von negativen externen Effekten.

Auch auf Drängen von Umweltbewegungen zeigt die Politik zunehmende Bereitschaft, externe Effekte zu internalisieren. Es gibt emissionsbezogene Steuern, die die Kosten bei Produktion und Konsum erhöhen. Es gibt Auflagen, Emissionszertifikate zu erwerben, die einen Preis haben und somit die Kosten steigen lassen. Es gibt über Verbote und Gebote eine Kontingentierung von Mengen, die mal über die Verknappung der Nachfrage die Unternehmenserträge und mal über jene des Angebots den Konsumentennutzen senkt.

Das alles ist teils richtig. Es ist aber teils auch falsch. Denn was die etablierte Politik einerseits nicht genügend auf den Schirm hat, ist, dass es auch zu Veränderungen von Strukturen kommt, die eher als Strukturbruch denn als Strukturwandel zu bezeichnen sind. Es geht eben nicht nur um hier und da ein paar Euro mehr Kosten. Es geht um mehr, wenn die strukturellen Veränderungen nicht sozial abgefedert werden: Unternehmen schließen oder wandern ab. Lohnabhängige verlieren ihre Jobs, Kleinselbständige ihre Verdienstmöglichkeiten. Biografien und berufliche Identitäten stürzen in sich zusammen. Anfahrten werden mühsamer und zeitaufwändiger. Lebensführungen werden unbequemer.

Andererseits begreift die etablierte Politik nicht genügend, dass das strukturelle Gefüge der Gesellschaft die als möglich unterstellten Wechsel von Verwendung A hin zu Verwendung B nicht zulässt, wenn alternative Verwendungen zu machbaren Bedingungen nicht zur Verfügung stehen. Wir können und müssen ganz gewiss uns und unser Handeln in einigen Bereichen ändern. In anderen Bereichen ist das aber nur schwer möglich. Hier folgen wir unseren Trajektorien und ziehen unsere Bahnen, weil die Freiheitsgrade begrenzt sind. Wer ist in der Lage, auf die Schnelle einen neuen Job oder eine neue Verdienstmöglichkeit zu finden? Wer kann sich aus eigenen Stücken rasch eine neue identitätsstiftende Berufsbiografie zusammenzimmern? Wie kommt man von A nach B ohne ausreichende Infrastruktur beim ÖPNV und beim ÖPFV? Wie lässt sich bei geringem Einkommen der Konsum umstrukturieren, wenn die Preise steigen, nicht aber das nominale Einkommen?

Kurzum: Die sozialen Spannungen werden steigen, und die etablierte Politik hat wenig Plan, wie neue Jobs, soziale Ausgleichszahlungen, sozial zufriedenstellende Ausweitungen der Infrastruktur und bezahlbare Konsumumstiege eingeleitet werden sollen. Die dämliche Schuldenbremse? Soll bleiben. Sozialleistungen? Sollen gestrichen werden. Umverteilungen von oben nach unten? Sollen ausbleiben. Subventionen? Sollen gestrichen werden. Infrastrukturinvestitionen? Werden nicht ausreichend stattfinden. Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen? Wird nicht oft erklärt.

Angesichts dessen wird es zu erheblichen sozialen Protesten kommen – zurecht. Ich bin klar gegen Gewalt. Ich bin klar für den ökologischen Wandel. Aber ich bin als Sozialist auch ganz entschieden der Ansicht, dass der Strukturwandel sozial und solidarisch erfolgen muss.

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