Campino wurde neulich anlässlich des Besuchs von King Charles III neben der ehemaligen Regierenden Bürgermeisterin Fransiska Giffey mit Frack und Lackschuh fotografiert. Die Reaktion der Bubble: “Haha!”, “Vom Punker zum Parkett-Dackel” oder “Man muss den Droste-Text nicht gelesen haben, um Campino längst nicht mehr als Punk / punk zu sehen.”
Quintessenz dieser Aussagen ist es, Campino einen Vorwurf daraus zu machen, Kleider zu tragen, die sich für einen Punk nicht geziemen würden. Dahinter steht die irrige Vorstellung, Linke seien Moderebellen und müssten mit Klamotten und der Auswahl von Personen, mit denen sie fotografiert werden, ständig beweisen, wie rebellisch sie seien. Gegen diese Auffassung sage ich hier nur, dass ein Frack nichts Schlimmes und Linkssein nicht identisch mit Rebellentum ist.
Doch darum soll es hier nicht gehen. Hier geht es um “Alles aus Liebe” von Campinos Toten Hosen. Ich bin kein Düsseldorfer und weder Fan der Toten Hosen noch von Campino, aber ich finde dieses Lied OK, das 1993 auf dem Album “Kauf MICH!” erschienen ist. Anders als andere Titel auf dem Album übt der Song keine Kritik an der ökonomischen oder politischen Verfassung der Gesellschaft, auch nicht am Konsumverhalten und am Konservatismus. Er bringt stattdessen aus der Perspektive des lyrischen Ichs den Zustand des Verliebtseins zum Ausdruck.
Sigmund Freud schrieb hierzu im Text “Das Unbehagen der Kultur”:
“Normalerweise ist uns nichts gesicherter als das Gefühl unseres Selbst, unseres eigenen Ichs. Dies Ich erscheint uns selbständig, einheitlich, gegen alles andere gut abgesetzt. Daß dieser Anschein ein Trug ist, daß das Ich sich vielmehr nach innen ohne scharfe Grenze in ein unbewußt seelisches Wesen fortsetzt, das wir als Es bezeichnen, dem es gleichsam als Fassade dient, das hat uns erst die psychoanalytische Forschung gelehrt, die uns noch viele Auskünfte über das Verhältnis des Ichs zum Es schuldet. Aber nach außen wenigstens scheint das Ich klare und scharfe Grenzlinien zu behaupten. Nur in einem Zustand, einem außergewöhnlichen zwar, den man aber nicht als krankhaft verurteilen kann, wird es anders. Auf der Höhe der Verliebtheit droht die Grenze zwischen Ich und Objekt zu verschwimmen. Allen Zeugnissen der Sinne entgegen behauptet der Verliebte, daß Ich und Du eines seien, und ist bereit, sich, als ob es so wäre, zu benehmen. (…)
Was aber, wenn es zum Ende kommt? Dann, so Freud, geschieht Folgendes:
“Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben. Aber die auf den Glückswert der Liebe gegründete Lebenstechnik ist damit nicht erledigt, es ist viel mehr darüber zu sagen.”
Campinos Tote Hosen bringen das weniger eloquent und präzise auf den Punkt, aber hey: Es ist ein Popsong. Und so transportiert uns Campino seine Gemütslage: die Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken; die Gefühle von Verhexung und Gefangenschaft; die Angst, nicht verstanden und zurückgesetzt zu werden; die Eifersucht; die dissoziative Identitätsstörung wie bei Stevensons “Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde”; die Wahnvorstellungen und Verlustängste; die Unsicherheit übers eigene Verhalten; den Widerspruch zwischen dem Wunsch, Liebe beweisen zu wollen, und dem Umstand, Liebe nicht beweisen zu können; die Suizidgedanken und Gedanken an den gemeinsamen Tod.
Ist das kitschig? Etwas. Ist es rebellisch? Kaum. Ist es Punk? Keine Ahnung. Aber es ist ein gar nicht so mutloser Text in einem nolens volens juvenilen Poesiealbumstil und eine interessante musikalische Mischung aus Stampf-Punk und Schlager. Das Ganze ist besser als ein lauwarmer Politsong mit erhobenem Zeigefinger und anders als bei Tocotronics “Michael Ende, du hast mein Leben zerstört”
kein “Lied mehr zur Lage der Nation
Und zur Degeneration meiner Generation,
Zur Unentschlossenheit der Jugend,
Zur Verdrossenheit der Tugend”,
sondern ein Lied zum nicht restlos erklärbaren Phänomen der Liebe, das mit seinem Text besagt, wie es ist:
“Auf einmal brennt ein Feuer in mir,
Und der Rest der Welt wird schwarz.”