1)
Die Letzte Generation (LG) setzt sich, so meine Vermutung, mehrheitlich aus Jugendlichen zusammen, deren Eltern ein überdurchschnittliches Einkommen haben. Dies könnte ursächlich dafür sein, dass die LG für bestimmte soziale Belange blind ist.
Dies ist aber kein Anlass, Analysen und Forderungen der LG per se zu verwerfen.
2)
Die LG wird, so meine Vermutung, durch drei Motive angetrieben: erstens durch eine wissenschaftlich gestützte Deutung, dass der Klimawandel fortgeschritten ist und gebremst werden muss; zweitens durch Angst vor einer Klimaapokalypse; drittens durch das Bestreben, für sich persönlich in der Ökonomie der Aufmerksamkeit eine gute gesellschaftliche Stellung zu ergattern.
Angst ist eine Emotion, die ich nicht kritisieren möchte, aber kein guter Ratgeber. Das Streben nach einer guten Stellung ist nicht edel, aber dieses Streben teilt die LG mit vielen. Doch mit ihrer Deutung, dass der Klimawandel schon fortgeschritten ist und gebremst werden muss, liegt die LG m.E. völlig richtig.
3)
Die LG hat keineswegs als erste oder einzige Akteurin, wohl aber zusammen mit anderen Akteuren die gesellschaftliche Wahrnehmung für das Problem des Klimawandels geschärft. Dies geht nicht allein mit einer wenig bemerkbaren Praxis. Daher ist es falsch, den Aplomb, mit dem die LG Aufmerksamkeit generiert, von Vornherein zu kritisieren.
Dennoch ist es erstens eine Schwäche der LG, das ihr Vorgehen die Aufmerksamkeit bisweilen weg vom Problem des Klimawandels selbst und hin zu sich selbst lenkt. Zweitens bestraft die LG auch jene Autofahrer, die das Problem des Klimawandels erkennen. Drittens suggeriert das Vorgehen der LG den falschen Eindruck, als sei das Klimawandel in erster Linie eine Folge sündhaften individuellen Verhaltens und nicht ein Problem der gesellschaftlichen Strukturen.
Dennoch folgt hieraus nicht, dass Aktionen nur brav und bescheiden sein dürfen.
4)
Die LG als Klimaterroristen zu bezeichnen ist unpassend und lächerlich.
5)
Aus der Dringlichkeit des Problems des Klimawandels, die die LG zurecht hervorhebt, folgt das Erfordernis eines mehrdimensionalen Vorgehens im Rahmen einer umfassenden sozialökonomischen Transformation.
Einerseits muss es um Vermeidung und Bremsung des Klimawandels gehen; andererseits ist Anpassung an irreversible Prozesse notwendig. Einerseits müssen ökologische Maßnahmen greifen; andererseits bedarf es sozialer Kompensationen und ökonomischer Umwälzungen. Auf der einen Seite müssen sich Produktions- und Lebensweise sowie die Art des Wachstums ändern; auf der anderen Seite müssen industrielle Kerne und automobile Lebensweise erhalten bleiben und bedarf es weiterhin positiver Wachstumsraten des realen BIP.
Einesteils ist der Einsatz von Technik Teil des Problems; anderenteils ist er Teil der Lösung. Zum einen sind Dekarbonisierung und Defossilisierung erforderlich; zum anderen wird auf globaler Ebene Atomenergie unverzichtbar sein. Einerseits bedarf es einer Politik von Auflagen, Vorgaben, Kontingentierungen, Investitionen und Planungen; andererseits sind marktförmige Ansätze mit Zertifikaten und ökologischen Steuern sinnvoll und hilfreich.
In all diesen Fragen ist die LG halbseiden unterwegs, sieht zu sehr nur die eine Seite und ist tendenziell blind für all das andere, was benannt wurde. Doch auch halbe Seide ist Seide: Dass die LG den Klimawandel bremsen möchte, auf ökologische Maßnahmen drängt, einen Wandel in Produktions- und Lebensweise anmahnt, umweltschädliche Techniken kritisiert, für Dekarbonisierung und Defossilisierung kämpft und Auflagen einfordert, ist m.E. richtig und sollte nicht unter den Tisch fallen, wenn man die LG zurecht kritisiert.
6)
Wer die LG mit Recht kritisiert, entwertet seine Kritik nicht durch Defizite im eigenen Handeln. Dennoch sei angemerkt, dass Politik, Wirtschaft, Kapital und Arbeit sowie Verbraucher in den letzten Jahren zu wenig gemacht haben, um den Klimawandel zu bremsen.
In einer Gesellschaft, die durch den stummen Zwang der Verhältnisse geprägt ist, ist ein Vorgehen, das vor allem mit Schuldzuweisungen operiert, sehr fragwürdig. Dennoch gibt es Akteure mit mehr und mit weniger Einfluss, und das politische Urteil über all die anderen Akteure jenseits der LG sollte in Rechnung stellen, inwieweit diese dazu beitragen, die gesellschaftlichen Strukturen so zu verändern, dass sie ökonomisch, sozial und ökologisch zukunftsfähig ist.
7)
Die sozialökonomische Transformation ist eine Jahrhundertaufgabe und wird auch zu Einschnitten führen. Externe Effekte des Klimawandels zu internalisieren bedeutet, dass es gesamtgesellschaftlich und dabei überproportional für die Länder des reichen Westens auch zu Kostensteigerungen und Belastungen kommen wird, deren Gegenwert nicht nur ein Mehr an Gütern und Dienstleistung sein wird, sondern auch ein Weniger an Erderwärmung, eine geringere Häufigkeit von Extremwetterereignissen und geringere Klimaprobleme im Trikont.
Die Bereitschaft hierfür wird in den Ländern des reichen Westens nur hinreichend sein, wenn es in ihnen zu erheblichen Umverteilungen von oben nach unten kommt, um übergroße Härten der Unterprivilegierten in den reichen Ländern abzufedern. Dass die LG auf die Notwendigkeit von Umverteilungen zu wenig hinweist, muss kritisiert werden.
Dass die LG aber die Bereitschaft auch zu Kostensteigerungen und Belastungen anmahnt, deren Gegenwert nicht ein Mehr an Gütern und Dienstleistung sein wird, ist zu würdigen.