Die Linksfraktion im Bundestag löst sich auf. Das Datum der Auflösung wird der 06.12.2023 sein – man könnte fast meinen, es handelte sich um ein Nikolausgeschenk der LINKEN an die anderen Parteien. Die Auflösung ist für mein Befinden unvermeidbar. Zu groß und letztlich unüberbrückbar waren die Differenzen zwischen Restpartei auf der einen Seite und jenen Genossen, die die LINKE verlassen und sich künftig im BSW sammeln werden, auf der anderen Seite.
So unerlässlich dieser Schritt auch ist, gilt dennoch das Fazit: Die LINKE hat es verkackt. Damit meine ich: Verkackt haben es wir alle, die wir diese Partei mitaufgebaut haben – und somit auch ich. Denn 2005 habe ich die SPD verlassen und bin mit zahlreichen anderen Genossen in die WASG eingetreten, um 2007 die LINKE zu gründen.
Verkackt haben wir es, weil wir zu oft nicht die richtigen Fragen gestellt haben; weil wir uns bei richtigen Fragen zu oft gescheut haben, schwierige Antworten zu suchen und zu benennen; weil wir uns zu oft ausgeruht haben auf ausgetretenen Pfaden; weil wir Strukturen, Politikbereiche und Gruppen von Akteuren in der Gesellschaft zu oft schematisch-additiv betrachtet haben, statt sie in ihrer Widersprüchlichkeit zu analysieren; weil wir zu oft von Schwerpunktsetzung nur geredet haben, statt sie zu praktizieren.
Man lese mein an diesen Fehlern leidendes Begründungspapier von 2005 für den Übertritt von SPD in die LINKE, um zu verstehen, was ich meine: Mein Reden von Doppelstrategie in Partei und Bewegungen war unzureichend. Meine Behauptung, auf der einen Seite gäbe es gute linke und auf der anderen Seite schlechte andere politische Kräfte in einer neoliberalen Einheitspartei, war in dieser Schlichtheit falsch und überdies von linker Selbstüberschätzung geprägt. Usw.
Neben aller Selbstkasteiung verweise ich aber auch auf Papiere, Kampagnen und Politikansätze anderer LINKER in den letzten Jahren, die sich ebenfalls durch schematische Addition ausgezeichnet haben. Das gescheiterte Konzept der verbindenden Klassenpolitik, die LINKE Tendenz zur Soziologisierung von Politik mit der ewigen Suche danach, welche Akteure die LINKE ansprechen möge, die Ausblendung ökonomischer Fragen, die Betrachtung sozialer und ökologischer Fragen als gleichgerichtet anstelle einer Analyse ihres widersprüchlichen Verhältnisses sowie die Verkennung der Potentiale westlich-bürgerlicher Gesellschaften für die Individualitätsentwicklung legen Zeugnis ab von LINKEN Defiziten.
Mir fehlt heute Zeit, Lust und Inspiration, um mich an einer längeren Analyse und an einem intensiveren Ausblick nach vorne zu versuchen. Nur so viel: Die LINKE ist zwar erkrankt, aber tot ist sie noch nicht. Eine Zukunft wird sie jedoch nur haben, wenn sie Selbstzufriedenheit mit ihrer bisherigen Politik vermeidet, wenn sie ihre eigenen Fehler analysiert und zu beheben versucht, anstatt alle Probleme auf SW zu schieben, und wenn sie neue Wege beschreitet.
Bald wählt die LINKE ihre Kandidaturen für die Europawahl. Das Tableau von 1-4 mit einer Addition von Flüchtlingsaktivistin, Parteivorsitzendem, Kämpferin aus der Friedensbewegung und sozial engagiertem Arzt möchte ich nicht ad personam kritisieren, denn gewiss haben alle Kandidaten ihre honorigen Seiten.
Aber was auch hier fehlt, ist ein offensives Bekenntnis, dass die LINKE die Herausforderungen von sozialer Kluft, Klimawandel, Migration, kulturellen Umwälzungen und gewaltförmigen Konflikten vor dem Hintergrund turbulenter ökonomischer Entwicklungen mit allen Widersprüchen zu bearbeiten gedenkt.
In der LINKEN werde ich dennoch bleiben. Meine Hoffnung ist, dass wir es künftig besser zu machen versuchen. Neben neuer Politik braucht es auch neue Köpfe. Ich hoffe, dass Daphne Weber auf Platz 5 der LINKEN Europawahlliste gewählt wird, denn ich traue ihr zu, mit Antinomien umzugehen, statt sich hierunter wegzuducken.