Zu Augstein

Augstein liegt es fern, in den Juden die Ursache für alle Übel der Welt zu vermuten. Augstein ist auch niemand, der wie die Hamas auf die Vernichtung Israels aus ist. Und er bedient sich auch nicht wie Domplatten-Walter-Herrmann “Stürmer”-hafter Darstellungen, um gegen Israel zu hetzen. Er ist also weder religiöser noch klassischer und erst recht kein exterminatorischer Antisemit.

Aber Augstein hat ein Problem. Er und viele andere haben die Neigung, bei nicht allen, aber vielen Problemen dieser Welt immer wieder die Verantwortung bei Juden zu suchen – und das heißt heutzutage: bei Israel. Sie könnten auf zig Probleme dieser Probleme hinweisen – sie landen so oft beim Nahostkonflikt mit Israel. Sie könnten zig verantwortliche Parteien für Probleme benennen – sie landen so oft bei Israel. Sie könnten, wenn sie schon personalisierte Analysen schätzen, zig Einflussgrößen benennen – sie landen so oft bei der unterstellten jüdischen Israel-Lobby in den USA.

Mir fallen zig Staaten ein, die den Weltfrieden gefährden – mal angefangen vom Iran. Mir fallen zig Parteien im Nahen Osten ein, die Israel gefährden. Mir fällt ein, dass Assad die syrische Opposition attackiert, dass Teile der syrischen Opposition Kritiker des Islams enthaupten, dass also hier der Frieden gefährdet wird. Doch was sagt Augstein?

“Aber die knappen Zeilen, die Günter Grass unter der Überschrift ‘Was gesagt werden muss’ veröffentlicht hat, werden einmal zu seinen wirkmächtigsten Worten zählen. Sie bezeichnen eine Zäsur. Es ist dieser eine Satz, hinter den wir künftig nicht mehr zurückkommen: ‘Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.’ Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist.”

Es gibt in vielen Ländern, auch und gerade in Deutschland, einen gerne betriebenen Volkssport: Israel kritisieren. Man lese sich die Feuilletons durch, die Kommentare der Leser, die Blogs. Besonders gerne kritisieren viele Israel. Das ist schon problematisch genug. Getoppt wird dies aber dadurch, dass eben diese Zahlreichen behaupten, durch ein vermeintliches (!) Tabu irgendwie daran gehindert zu werden, das, was aus ihnen heraus drängt, endlich und überfällig herauszulassen – obwohl sie es doch de facto schon so oft herausgelassen haben und immer wieder herauslassen. So sagt Augstein:

“Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen. Ein überfälliges Gespräch hat begonnen.”

Und für solche Personen ist auch klar, dass von anderen vertretene Positionen zu diesem und jenem Thema zumeist Ausdruck rationaler und eigenständiger Überlegung sind. Doch wenn Positionen pro Israel vertreten werden, dann, glaubt man, steht in der Regel entweder jemand dahinter, oder es ist nicht rational. US-Politiker pro Israel? Sind nicht in der Lage, von selber zu angeblich (!) abgewogenen Positionen zu kommen. Nein, sie sind infiltriert von der jüdischen Lobby hinter ihnen. Deutsche pro Israel? Sind angeblich (!) befangen von militärischer Vergangenheitsbewältigung. Daher Augstein:

“Mit der ganzen Rückendeckung aus den USA, wo ein Präsident sich vor den Wahlen immer noch die Unterstützung der jüdischen Lobbygruppen sichern muss, und aus Deutschland, wo Geschichtsbewältigung inzwischen eine militärische Komponente hat”, kann Israel agieren.

Wie aber agiert Israel für solche Kommentatoren? Nicht als ein Staat unter vielen. Nein, das reicht nicht. Israel muss schon die entscheidende Weltmacht schlechthin sein, Israel muss die Strippen ziehen und die Welt am Gängelband führen. Daher Augstein:

So “führt die Regierung Netanjahu die ganze Welt am Gängelband eines anschwellenden Kriegsgesangs: ‘Netanjahus Israel hat die globale Agenda auf eine Weise bestimmt wie kein kleiner Staat je zuvor’, schreibt die israelische Zeitung ‘Haaretz’. Vom Ölpreis bis zum Terrorismus – die Welt hat Gründe genug, einen israelisch-iranischen Krieg zu fürchten.”

Der Iran posaunt es jeden Tag offen aus, jeder kann es lesen, wenn er denn will: Ziel des Irans ist es, Israel von der Landkarte zu wischen. Der Iran baut atomare Anlagen. Es besteht also die Gefahr von Atombomben. Doch für viele ist das nur eine Überhöhung von Gefahren. Nein, der Iran stellt für sie keine echte Bedrohung dar. Diese geht vielmehr von Israel, dem unterstellt (!) wildgewordenen, irrationalen Staat, aus. Daher Augstein:

“Israel hat der Welt eine Logik des Ultimatums aufgedrängt: Es will gar nicht beweisen, dass Iran eine Bombe hat. Es will nicht einmal beweisen, dass Iran eine Bombe baut. Die israelische Doktrin lautet einfach, dass Teheran die ‘Zone der Immunität’ nicht erreichen dürfe. Israel droht darum mit einem Angriff, bevor die Iraner ihre Atomanlagen so tief im Granit versenken können, dass auch die größten bunkerbrechenden Bomben der Amerikaner sie nicht mehr erreichen.”

Viele sind sich auch gewiss: Egal welche Konflikte es gibt, sie sind nicht auf strukturelle Ursachen in den Konfliktorten selber, ökonomische Fragen in den Konfliktorten selber, Ideologien in den Konfliktorten selber zurückzuführen, sondern hinter ihnen stehen vor allem externe Nutznießer. Wer sind die Nutznießer, cui bono? Na klar: Israel und den USA. Daher Augstein:

“Das Feuer brennt in Libyen, im Sudan, im Jemen, in Ländern, die zu den ärmsten der Welt gehören. Aber die Brandstifter sitzen anderswo. Die zornigen jungen Männer, die amerikanische – und neuerdings auch deutsche – Flaggen verbrennen, sind ebenso Opfer wie die Toten von Bengasi und Sanaa. Wem nützt solche Gewalt? Immer nur den Wahnsinnigen und den Skrupellosen. Und dieses Mal auch – wie nebenbei – den US-Republikanern und der israelischen Regierung.”

Da alles mit allem irgendwie zusammenhängt, Innen- auch Außenpolitik ist usw., gibt es sogar für die strukturellen Probleme des deutschen Einzelhandels eine zur möglichen Lösung fähige Instanz, nämlich Israel und seine ihm angeblich (!) unterworfene Bundesregierung, die diese Lösung aber angeblich wegen Israel ausschlagen. Daher Augstein trotz womöglich angedeuteter Ironie im Kern doch ernst meinend:

“Die Regeln der guten Haushaltspolitik und der marktwirtschaftlichen Ordnung, auf die sich die Merkel-Regierung gerne beruft, sind außer Kraft gesetzt. Pech für die Schlecker-Frauen: Mit Putzmitteln und Körperpflegeprodukten lässt sich kein Krieg führen. Würde der Staat Israel für die Durchsetzung seiner machtpolitischen Interessen auf Zahnpastatuben setzen und nicht auf Atomraketen, die berufliche Zukunft von rund 13.000 Drogistinnen wäre sicher.”

Nein, wer die Neigung hat, bei nicht allen, aber vielen Problemen dieser Welt immer wieder die Verantwortung bei Israel zu suchen; wer auf zig Probleme dieser Probleme hinweisen könnte, aber so oft beim Nahostkonflikt mit Israel landet; wer zig verantwortliche Parteien für Probleme benennen könnte, aber so oft bei Israel landet; wer zig Einflussgrößen benennen könnte, aber so oft bei der jüdischen Israel-Lobby in den USA landet usw. – der ist kein Nazi mit exterminatorischem Antisemitmismus, der ist auch kein religiöser Antisemit, auch kein klassischer Antisemit.

Aber er ist sekundärer Antisemit. Darauf hat das Wiesenthal Center hinweisen wollen – sicherlich pointiert. Aber m.E. zurecht.

http://www.publikative.org/2012/12/31/augsteins-israelkritik-eine-frage-der-obsession/

http://www.publikative.org/2012/04/06/im-zweifel-gegen-israel/

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