Sheep, Roger Waters, Konzert und Kritik

Heute gibt’s das musikalisch mitreißende Lied “Sheep” von Pink Floyd vom 77er-Konzeptalbum “Animals”. Das Album ist lose angelehnt an die Fabel “Animal Farm” von George Orwell aus dem Jahre 1945. Doch während Orwell sich mit seiner Erzählung an einer Kritik am Stalinismus versucht hat, ging es Roger Waters, dem maßgeblichen Komponisten und alleinigen Texter des Albums, um eine Kritik am Kapitalismus.

Es gibt in der Waters-Story drei gesellschaftliche Gruppen: erstens die Hunde, welche kapitalistische Anteilseigner, Manager und karrieristische Arbeitskräfte repräsentieren; zweitens die Schweine, welche Politiker und systemaffirmative Ideologen darstellen; und drittens die Schafe, die für Personen stehen, die sich die Welt gefallen lassen, statt hiergegen aufzubegehren.

An dieser Story, die auf das Konto von Waters geht, ist etwas dran. Wer möchte bestreiten, dass es gierige Menschen gibt; Politiker, die massive Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten rechtfertigen; Einvernehmen mit Verhältnissen von Personen, die Anlass hätten, hiergegen zu protestieren? Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit – an Waters’ Story ist auch einiges falsch. Waters’ Sicht hat nie die nachfolgende Erkenntnis in Marx, Karl: Das Kapital, Band I, Vorwort, in: MEW 23, S. 16, erfasst:

“Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.”

Dass gesellschaftliche Strukturen handlungsanleitend wirken können, entgeht Waters bisweilen. Dass das menschliche Denken und Handeln nicht (nur) durch Ideologen oder Manipulation von Herrschenden präformiert wird, sondern auch aus den Verhältnissen selbst entsteht, geht bei Waters öfters unter. Auch dass die Menschen mal mehr, mal weniger, mal unter Anleitung, mal auf eigene Faust, mal ohne und mal mit Erfolg Verhältnisse zu durchdringen versuchen und sich nicht nur wie Schafe verhalten, findet in Waters‘ Sicht wenig Platz.

Anders formuliert: Wenn es darum geht, das persönliche Spannungsfeld aus Begehren und begrenzender Realität in den Blick zu nehmen, hat Roger Waters seine textlichen Stärken und vermag es, wirklich berührende Lyrics in Songs zu gießen. Wenn Waters hingegen zur Gesellschaftsanalyse ausholt, sind die Ergebnisse unergiebig.

Daraus erklärt sich wohl auch die Neigung von Roger Waters, Sündenköpfe zu suchen und allzu sehr zu vereinfachen. Doch das ist es nicht allein. Seine Sicht auf den Nahost-Konflikt erklärt sich nicht nur aus einem Überschuss aus personalisierender Kritik der Verhältnisse. Seine mir missfallende Neigung, a) Israels Existenzrecht infrage zu stellen (Delegitimierung), b) Israel mit anderen Maßstäben als andere Staaten zu betrachten (Doppelstandards) und c) Israel gar zu dämonisieren, scheint auf anderen Gründen bzw. Abgründen zu beruhen, deren Ursprung ich nicht kenne.

Kurzum: Waters’ Haltung zu Israel steht meiner eigenen (siehe unter anderem hier oder hier) diametral entgegen. Seinen Support für BDS finde ich schlecht. Seine Performance, bei der das Schwein aus dem Animal-Album mit einen Juden- bzw. einem Davidstern versehen ist, fand ich bereits beim letzten Waters-Konzert vor 10 Jahren total daneben. Und seine penetranten Versuche, andere Künstler von Konzerten in Israel abzuhalten, finde ich grundfalsch; dass daher Radiohead, die Rolling Stones oder Nick Cave sich gegen Waters gestellt haben und in Israel aufgetreten sind, fand ich gut.

Dennoch gehe ich morgen zum Waters-Konzert in Köln. Denn auch wenn ich Roger Waters’ politische Positionen und somit auch die politischen Bestandteile seiner Performance in puncto Nahost ablehne, schätze ich sein musikalisches Werk und auch jene Teile seiner Lyrics, die persönliche Lebensverhältnisse schildern und skizzieren. Obendrein finde ich das Canceln von Konzerten und Aufführungen den falschen Ansatz der Auseinandersetzung mit Kultur, sofern diese politisch Problematisches impliziert.

Was tun? Ich bekunde meine Distanz und Kritik an Waters’ politischen Positionen; ich begrüße Proteste gegen Waters’ politische Auffassungen; ich gehe dennoch zu Waters’ Konzert und betrachte die Performance: mal mit Genuss, mal mit Widerwille. Und wenn Waters verlauten lässt: “If you’re one of those ‘I love Pink Floyd, but I can’t stand Roger’s politics’-people, you might do well to fuck off to the bar. Right now”, dann sage ich nur: Pech gehabt, Roger Waters, zur Bar gehe ich nicht, denn ich mag die Musik der von dir miterschaffenen Band Pink Floyd, ich mag auch Teile deiner Texte, aber in vielen politischen Fragen bin ich dein Kritiker und verschweige das auch nicht.



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